Predigt am Pfingstmontag 2004 in Rummelsberg: Mt 16,13-19

"70 Jahre Barmer Theologische Erklärung - 70 Jahre Bayerische Pfarrbruderschaft"

von Hans Harald Willberg

1. Petrus und wir — keine Heldengeschichten:

Liebe Schwestern und Brüder! Der Fels, auf dem die Gemeinde gebaut ist! Selig bist du, Simons Sohn, denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel! Ein großes Wort an einen Menschen! Ein Wort, auf das sich 2000 Jahre Kirchengeschichte aufbaut. Selig bist du, Petrus. Und mit dir die Gemeinde, die Kirche, die sich zu Jesus als dem Christus, dem Gesalbten und Sohn Gottes bekennt! Denn diese Zusage ist nicht individuell an eine Person adressiert, sondern an die Gemeinde. "Die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen!" —

Das ist das Vorzeichen, unter dem wir heute Abend hier feiern. Eine überwältigende Verheißung! Sie gilt auch uns, den kleinen Schwestern und Brüdern des großen Petrus! Ein großes Bekenntnis hat er abgelegt, der Jünger, unerschütterlich und eindeutig, dass man ganz klein werden möchte dagegen. Nur gut, dass von demselben Petrus auch ganz andere Dinge erzählt werden: Dass er feige verleugnet hat, als es um Tod und Leben ging, dass er nichts kapiert hat, dass Jesus selbst ihn Satan nannte, dass er alles andere als ein Held war. Es ist doch sehr bemerkenswert, dass Matthäus nur wenige Sätze nach diesem großen Bekenntnis davon erzählt, wie hart Jesus ihn hernimmt: "Geh mir aus dem Weg, Satan! Du willst mich zu Fall bringen; denn nicht Gottes Gedanken, sondern Menschengedanken hast du im Sinn!" So nah sind sie zusammen: Die Gottesgedanken und die Menschengedanken! Pfarrbruderschaft so ein Fels? Mit einem klaren Bekenntnis, mit großer Eindeutigkeit und voller Gottesgedanken? —

Ach ja, da gibt es dann auch das andere zu erzählen:
Dass wir nichts kapiert haben und wegschauen und schwach sind, keine Helden. Natürlich gibt es dies zu erzählen. 70 Jahre Bayerische Pfarrbruderschaft, das war sicher keine Heldengeschichte. Aber eins kann heute vielleicht doch gesagt werden: Es ging immer wieder und sehr ernsthaft um die Suche nach dem rechten Bekenntnis zu Jesus Christus. In den fürchterlichen Verirrungen und Verwirrungen des Naziregimes war das so. Ja, da wurde gerungen, ernsthaft und eindrücklich. Heute, im Nachhinein könnte man den Eindruck haben, es sei damals alles ziemlich klar und eindeutig gewesen, wo Jesus Christus stand und wo nicht. War es aber nicht.

Auch und gerade die Bekennende Kirche musste nachher sehen, dass "wir nicht deutlich genug geredet haben" und schuldig geworden sind; dass es uns viel zu einseitig um die Kirche gegangen war, und die Juden und Zigeuner und Kommunisten und Schwulen nicht im Blick gewesen sind! Und bei der Wiederbewaffnung der BRD, da wurde auch gestritten und gerungen. Da ging es auch um das Bekenntnis, um die Frage nach dem ersten Gebot und dem Gehorsam gegenüber Gottes Wort. Aber war es genug? Haben wir uns nicht dann doch recht schnell zurückgelehnt und uns damit zufrieden gegeben, dass sie ja nur "Bürger in Uniform" sein sollen, die Soldaten; und dass wir doch gegen den Kommunismus eine starke Wehrmacht und eine Nato und die Aufrüstung unbedingt brauchten?! Heldengeschichte? Sicher nicht!

Und bei den vielen anderen großen und kleinen Herausforderungen, der Apartheid in Südafrika: Da waren es die Frauen mit ihrem Früchteboykott, die die Buren das Fürchten lehrten, nicht wir in der Bayerischen Pfarrbruderschaft. Oder bei Wackersdorf oder in dem täglichen Unrecht der Abschiebung von Asylsuchenden — war es dann nicht doch immer wieder eher so: Machen wir uns halt an Pfingsten ein paar schöne Tage in unserem Verein, wir mögen uns ja doch so gerne! Und was da draußen geschieht, im Irak, im Sudan oder Kongo, unter den Brücken unserer Städte oder in den Abschiebelagern der Asylanten, das war und ist ja glücklicherweise ziemlich weit weg! Da machen wir dann eine schöne Stellungnahme und lehnen uns zufrieden zurück! 70 Jahre Bayerische Pfarrbruderschaft — eine Heldengeschichte ist es nicht!

Gott sei Dank, eine solche Geschichte müssen wir uns auch nicht erzählen! Das ist nicht unsere Aufgabe. Die selbsternannten und selbstbewussten Gemeindebauer sind sicher nicht die, von denen Jesus redet. " Ich will meine Gemeinde bauen", sagt er. Das ist gut so. Und das Bekenntnis "du bist der Christus, der Sohn Gottes" hat Gott dem Petrus selber eingegeben. Da sind keine Heldengeschichten nötig, weder damals noch heute! Aber auf einmal ist er da, der richtige Moment. Jesus selbst fragt seine Jünger: "Und ihr? Was sagt ihr denn, wer ich bin?" Gott selber stellt die Frage. Und der Hl. Geist weht, und Lutheraner und Reformierte und Unierte sitzen zusammen, beraten und formulieren ein klares Wort. Sie haben es nicht einmal ein Bekenntnis genannt vor 70 Jahren. Eine Erklärung — ein merkwürdiger Begriff. Was wollten sie denn erklären?

Die "Deutschen Christen"hatten ein halbes Jahr zuvor im Sportpalast in Berlin gefordert: Die Verkündigung der Kirche müsse von aller orientalischen Entstellung gereinigt werden, die schlichte Frohbotschaft mit einer heldischen Jesusgestalt im Zentrum müsse die Grundlage eines "artgemäßen Christentums" bilden; eine Vollendung der deutschen Reformation könne nur darin liegen, dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates gerecht zu werden. — Das war der Moment. Das war die Frage Gottes. Hier musste Nein gesagt werden. Hier ging es um das Zentrum. Da musste Klarheit geschaffen werden! Gut, dass die Männer in Barmen das getan haben! Sie haben ein notwendiges, hilfreiches, klärendes Wort gesprochen. Manche sagten (Wolfgang hat es eben betont), man habe das Wehen des Hl. Geistes gespürt.

2. Aktuelle Herausforderungen:

Gegenüber einem Totalitätsanspruch ist so ein klares, eindeutiges Bekenntnis gefragt. Für mich sind es heute besonders zwei Herausforderungen mit totalitärem Anspruch. Sind es auch die Fragen Gottes? Krieg ist wieder zu einem politischen Mittel geworden. Amsterdam 1948, Ökumenische Weltversammlung: "Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein!" —

Dagegen heute neue Doktrin: Angriffskrieg, Präventivkrieg. Wieder stubenrein. Krieg ist immer totalitär. Ihm ordnet sich alles unter. Er bestimmt über Leben und Tod. Bisher gültige Regeln und Gesetze werden außer Kraft gesetzt, Konventionen gekündigt, Menschenrechte missachtet, Völkerrecht lächerlich gemacht. Wer die Macht hat, die Sieger also, demütigt und foltert die Verlierer. Die Welt wird eingeteilt in Gute und Böse, in Schurken und Edle. So war es immer. Und wir erleben es heute täglich in den Medien. —

Es hat klare Stellungnahmen gegeben von Kirchenleuten. Unsere Bruderschaft hat auch ein gutes Papier gemacht. Aber es hat kein eindeutiges, klares Bekenntnis der Kirchen gegen die neue Kriegsdoktrin gegeben. Und wenn sich diese neue Kriegsdoktrin neuerdings auch in dem Verfassungsentwurf für die EU niederschlägt, dann ist schon zu fragen, ob wir das einfach so hinnehmen können! Das zweite: Wenn heute die neoliberale Ökonomie unter dem schwammigen Begriff "Globalisierung"alle Lebensbereiche beansprucht, ist zu fragen, ob nicht so eine Situation eingetreten ist, in der ein klares Bekenntnis der Kirchen gefordert ist. Die Glücksversprechungen dieser Mammons-Religion erweisen sich als trügerisch. Schon die Propheten des Ersten Testaments haben die falschen Götzen an der Verlogenheit ihrer Versprechungen entlarvt! Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Brutalität und Gewalt nehmen in erschreckender Weise zu. In der "Dritten Welt"sind die Auswirkungen am schrecklichsten. —

Schon 1984, im Rahmen des 50-jährigen Barmen-Erinnerns in Wuppertal-Barmen rief eine Gruppe von Teilnehmenden dazu auf, den Status Confessionis im Hinblick auf die Weltwirtschaft zu bekennen. Sie sei, weil sie auf die zunehmende Ausbeutung des armen Teils dieser Erde angelegt sei, nicht mit dem Glauben zu vereinbaren. Hatten sie nicht recht? Die große Resonanz blieb vor 20 Jahren freilich aus. Es war ja auch nicht eine Synode (wie seinerzeit in Barmen), die dieses Bekenntnis ablegte, nicht eine Kirche, sondern nur einige Teilnehmende! Ob es nicht an der Zeit wäre, dass die Kirchen auf den Plan treten? Es ist zu bedenken, ob und wie ein Bekenntnis ausgesprochen werden kann und muss. Die Sprache des schwarz-weiß, die Verwerfungen und Verdammungen sind wohl sicher nicht mehr die Art, wie heute gesprochen werden sollte. Obwohl Grenzziehungen nötig sind!

Darüber hinaus hat Jürgen Moltmann betont, dass zu einem Bekenntnis immer dreierlei gehört: Der Kairos, der Kontext und die Gemeinschaft, die bekennt. Der Kontext scheint ersichtlich. Ist auch der Kairos, die Frage Gottes, da? Und wäre z.B. die Bayerische Pfarrbruderschaft eine solche Gemeinschaft, die ein Bekenntnis formulieren kann? Ein Kommentator schreibt skeptisch: Für die Kirchen "im alten Europa scheint heute nicht die Zeit des Bekennens da zu sein, zumal neue Sprach- und Denkmuster noch nicht gefunden sind. Und die wären wohl die Voraussetzung dafür.

Vorläufig ist also nur Zeit der Erinnerung: Siebzig Jahre Barmer Erklärung." Vielleicht müssen wir nicht so hoch greifen und ein neues Bekenntnis der Kirche fordern. Vielleicht ist es jetzt eher dran, dass wir die alte Tugend der Bayerische Pfarrbruderschaft wieder neu beleben: Nämlich wach und aufmerksam zu beobachten, was im gesellschaftlichen Umfeld geschieht, und gegenüber der Kirchenleitung und der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen (kriegerisches Bild!). Das würde freilich bedeuten, dass wir uns intensiv mit den Fragen der Gegenwart beschäftigen, allem Frust zum Trotz.

Vom Konziliaren Prozess haben wir gelernt, wie so eine Beschäftigung aussehen kann und Sinn macht: Sehen — Hören — Handeln — Feiern! Sehen = der unrechten Situation nicht ausweichen, sondern sie genau anschauen. Analysieren ist ein modernes Wort dafür. Hören = das, was von Anfang an zur Kultur der Bayerischen Pfarrbruderschaft gehört: Auf das Wort der Bibel hören: Was hat das Gesehene mit dem Zeugnis der Bibel zu tun? Handeln = das jetzt Nötige tun. Feiern = die Vergewisserung im Ursprung des Glaubens suchen, in Gottesdienst und Gebet und Fest. Alle 4 Punkte gehören zusammen. Wir sollten sie einüben! Beispiel: Der grauenvolle Hunger in Afrika hat mit unserem Eucharistieverständnis zu tun. Paulus hat das deutlich gemacht: Es geht nicht, es verleugnet Jesus Christus, wenn die einen satt zur Feier kommen und die anderen hungrig bleiben! — Lasst uns nachher, wenn wir das Abendmahl feiern, das nicht aus dem Blick verlieren!

3. Freiheit

Das Bekenntnis zu Jesus Christus macht frei! Wesentliches Kriterium! Es befreit von Abhängigkeiten. Keine Instanz der Welt! So haben es die frühen Christen erfahren, wenn sie dem allmächtigen, gottgleichen Kaiser von Rom mit dem Ruf Kyrios Christos entgegen getreten sind. Der Ruf „kyrie eleison“ist kein unterwürfiger Demutsruf. Das hat der Kaiser gewollt, wenn er verlangte, dass er so begrüßt wird. Die Christen haben ihn als freies politisches Bekenntnis verstanden: Unser Herr ist Christus, niemand sonst! Die Barmer Erklärung: Jesus Christus ist „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“

Ob wir das übersetzen können in unsere Situation? Ich denke, es macht Sinn, sich täglich dessen zu vergewissern, wem wir zugehören. Vielleicht so, wie M. Luther davon redete, dass wir täglich in unsere Taufe kriechen sollen. Da verschieben sich die Maßstäbe. Das Kleine wird klein und das Große groß. Die alltägliche Arbeit mit ihren Mühen und Ärgernissen wird richtig zugeordnet. Eine andere Dimension tritt hinzu. Bei Petrus geht es auf einmal um die Schlüssel zum Himmelreich und um die Pforten der Hölle. Nicht gerade kleinkariert! Es gibt zur Zeit viel Mutlosigkeit und Verdruss unter uns Pfarrer/innen. Könnte es nicht sein, dass sie sich verschieben, wenn wir uns erinnern und gegenseitig vergewissern, wem wir zugehören? Das bedeutet ja nicht, dass die Mühen und Ärgernisse plötzlich vergehen. Aber sie bekommen einen anderen Stellenwert.

Immerhin hat Jesus auch dem Petrus nicht gesagt: Du bist super, du wirst es in Zukunft immer leicht und gut haben. Im Gegenteil: Auf das große Bekenntnis folgt die Leidensankündigung. Und es ist klar: Wer zu Jesus Christus gehört, der geht diesen Weg in Richtung Kreuz mit. Aber auch das Leid verliert seine deprimierende Wirkung, wo es eingebettet bleibt in den Lebenszusammenhang mit dem Messias, dem Sohn des lebendigen Gottes. — Lebendig — auch dort, wo unsere Kalkulationen und Hoffnungen nicht mehr aufgehen! Das ist grundlegend anders als die trügerischen Versprechungen der neuen Glücks- und Geldreligion! Es ist die Verheißung des Lebens in Fülle. Dessen lasst uns uns gegenseitig immer neu erinnern.
Amen