Brief der Seniora -
Ostern 2025

Schwaig, am Sonntag Judika, 06.04.2025

Liebe Schwestern und Brüder,

gibt es ihn eigentlich noch, den Zauber im Anfang? Das frage ich mich in diesen Wochen, in denen sich verschiedene Neuanfänge erleben lassen: in unseren Kirchengemeinden haben neue Kirchenvorstände und dekanatliche Gremien ihre Arbeit aufgenommen; eine neue Bundesregierung bildet sich; und die Weltordnung wird allem Anschein nach auf neue Füße gestellt.

Wohnt diesen Anfängen ein Zauber inne, wie es bei Herman Hesse heißt? Oder ist in diesen Tagen etwa jeder Zauber dahin? Denn der Zauber des Anfangs liegt doch in dem Bewusstsein, dass noch alles möglich ist, in dem flirrenden, schwebenden Gefühl des Aufbruchs. Der Zauber des Anfangs liegt auch im Ungewissen, im Offenen, im Tastenden.

Doch ist es ja genau die Ungewissheit über die Zukunft, sind es die offenen Fragen, und die Notwendigkeit, sich voranzutasten, die dieser Tage eher Ängste und Sorgen hervorufen. Die den Ruf nach vermeintlich starken Entscheidern laut werden lassen.

Entsprechend hat Donald Trump bereits in seiner Rede zum Amtseintritt am 20. Januar den Neuanfang beschrieben, den er nun einleite: „Vom ersten Tag an“ sollte Amerika in das Goldene Zeitalter eintreten. Denn „vom ersten Tag an“ sollten jene, die den Sturm auf das Kapitol juristisch verfolgt haben, gefeuert werden. Und „vom ersten Tag“ an sollten Menschen, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.(1)

Über einem solchen Anfang liegt kein Zauber, sondern die pervertierte Magie eines unerbittlichen Machtanspruchs. Genau diese Unerbittlichkeit gegen Fremde, gegen  Andersdenkende und gegen Schwächere wird auch in unserem Land momentan laut. Wo soll da noch ein Zauber wohnen? Wie gelingt es, nicht zu verzweifeln oder zu verbittern?

„Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal“, so haben Martin Buber und Franz Rosenzweig die ersten Verse der hebräischen Bibel übertragen. Ja, Irrsal und Wirrsal liegt auch über den Neuanfängen unserer Zeit. Und doch heißt es, sich davon nicht irre machen zu lassen.

Denn, trotz des Irrsals und Wirrsals auf der Welt gilt schon seit allen Zeiten: schutz- und hoffnungslos ausgeliefert sind wir dem nicht. Denn „Gott sah, dass es gut ist“. Und er schenkt den Zauber des Anfangs: „Abend ward, Morgen ward: Ein Tag.“

Angesichts aller Ungewissheiten, aller Unerbittlichkeiten: Gott schenkt den Zauber des Anfangs immer wieder neu. Diese Gewissheit liegt im kommenden Osterfest, dem Fest des neuen Lebens, das den Tod überwindet. Dietrich Bonhoeffer, dessen Tod sich in dieser Woche zum 80. Mal jährt, hat es so ausgedrückt:

„In der Auferstehung erkennen wir, dass Gott die Erde nicht preisgegeben, sondern sich zurückerobert hat. Er hat ihr eine neue Zukunft, eine neue Verheißung gegeben. [...] Wer die Auferstehung gläubig bejaht, der kann nicht mehr weltflüchtig werden, er kann aber auch nicht mehr der Welt verfallen, denn er hat mitten in der alten Schöpfung die neue Schöpfung Gottes erkannt.“(2)

Bei unserer diesjährigen Pfingsttagung vom 09.06. – 11.06.2025 wollen wir gemeinsam spielerische Offenheit erleben. Unter der Leitung von Birgit Mattausch, Autorin und Referentin für experimentelle Homiletik, freuen wir uns auf „Wörter, Engel, Reflektionen – ein Tag zum Schreiben, Spielen, und damit nicht alleine sein“. Wir schreiben einen Tag lang und teilen das Geschriebene miteinander: spielerisch, unverzweckt, gemeinsam. Engelsbegegnungen, Neuentdeckungen und Vergnügen sind nicht ausgeschlossen.

Anmeldeschluss ist bereits der 07. April, daher bitten wir alle, die teilnehmen möchten, dringend um Anmeldung und Überweisung des Tagungsbeitrags an das genannte Konto.

Im Namen des ganzen Rates der Brüder und Schwestern, von Senior Thomas Braun und Geschäftsführer Mark Meinhard grüße ich Euch herzlich, wünsche eine gesegnete Passionszeit und ein hoffnungsfrohes Osterfest!

Ihre/Eure Julia Illner


(1) Zitiert nach dem Essay „Der Autokrat und seine Jünger“ von Hilmar Klute in der Süddeutschen Zeitung vom 13.02.2025.
(2) Zitiert nach: Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 16: Konspiration und Haft 1940-1945, S. 472f