Brief der Seniors -
Weihnachten 2024

Bamberg, den 2. Dezember 2024

Von guten Mächten

Liebe Schwestern und Brüder,

vor 80 Jahren, am 19. Dezember 1944, befand sich Dietrich Bonhoeffer im Keller der Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Str. 8 in Berlin und schrieb berühmte Wörter an seine Verlobte:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr. (EG 65,1)

Ich vermute, dass viele von euch schon die eine oder andere Andacht über dieses Gedicht gehalten haben. Insofern ist mein Ansinnen, das auch zu tun, etwas riskant – ich mache es trotzdem. 80 Jahre ist ja doch etwas Besonderes

Veröffentlicht wurde das Gedicht bereits 1945 wenige Monate nach Bonhoeffers Tod in eine Gedenkheft im Umfeld des Ökumenischen Rates der Kirchen.(1)

Noch wirkmächtiger ist dann der Abdruck in „Widerstand und Ergebung“ im Jahr 1951. Der einzige Kontext, der dem Gedicht von Eberhard Bethge beigegeben wurde, ist die Notiz „Silvester 1944“.(2) Entsprechend dieser Notiz wander das Gedicht als Lied dann auch in den mit „Jahreswende“ überschriebenen Teil des aktuelle Evangelischen Gesangbuches (EG 65).

Bis 1992 ist „Von guten Mächten“ also eigentlich kontextlos: Wir wissen, dass es aus der Gefangenschaft stammt und Ende 1944 verfasst worden ist, auch wenn das Stichwort „Silvester“ nich ganz korrekt ist: „Advent“ wäre richtiger. Eberhard Bethge wusste vermutlich zum damaligen Zeitpunk auch nicht mehr. Der gesamte Brief vom 19. Dezember 1944 wurde erst 48 Jahre später publiziert, nämlich 1992 in den „Brautbriefe[n] Zelle 92“.(3)

Jetzt erfahren wir das genau Datum der Abfassung und dass das Gedicht Teil eines längeren Briefes an Maria von Wedemeyer ist. In diesem Brief freut sich Bonhoeffer über die Gelegenheit schreiben zu können („Ich bin so froh, daß ich Dir zu Weihnachten schreiben kann…“) und über die Gegenwärtigkeit seiner Lieben in Gedanken, Erinnerungen und Gebeten („Ich bin jeden Tag froh, daß ich Dich, Euch habe“). Von dieser unsichtbaren, inneren Welt kommt er dann aber sogleich auch auf das Äußere, die Umstände zu sprechen: Beschreibung des Tagesablaufes („Mittagessen wesentlich besser […] Es ist gut geheizt.“), die fehlende körperliche Bewegung die er mit Turnen in der Zelle kompensiert, Bücherwünsche („‘Abu Telfan‘ oder ‚Schüdderump‘“ von Wilhelm Raabe), die Bitte um Übersendung weniger rutschender Unterhosen („Man hat hier keine Hosenträger.“), und schließlich noch Rauschmittel: „Ich bin froh, daß ich rauchen darf!“ Die Dankbarkeit für die Umstände – das schreibt Bonhoeffer im Keller der Terrorzentrale! – und die Verbundenheit mit seinen Lieben („Daß Ihr alles für  mich denkt und tut, was ihr könnt, dafür danke ich Euch; das zu wissen ist für mich das Wichtigste.“)
ist die Einleitung und der Kontext für sein Gedicht „Von guten Mächten“. Oder anders formuliert: Die Stille, die Weihnachtserinnerungen, sein inneres Erleben, körperliche Erfahrungen (Rauchen und Turnen), die Verbundenheit mit seinen Lieben gehören zu den guten Mächten, die Bonhoeffer treu und still umgeben.

So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld. Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an  dessen Realität man keinen Zweifel hat.“(4)

All das begleitet und behütet Bonhoeffer in seiner Zelle gemeinsam mit seinem treuen Gott als gute Mächte:

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen, 
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. 
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht. (EG 65,5) 

treu und still umgeben 

Ein weiterer Grund, warum ich Bonhoeffer zum Thema dieses Adventsbriefes gewählt habe, wurde bisher nicht erwähnt: Während ich diesen Brief schreibe, liegt auf meinem Schreibtisch ein grade frisch erschienenes Buch von Karl Eberlein: „Dietrich Bonhoeffers Zeugnis als Herausforderung und Orientierung. Versuch einer Annäherung.“(5) Karl hat dieses Buch kurz vor seinem Tod fertig gestellt und noch aus dem Krankenhaus vor wenigen Wochen die Druckfreigabe erteilt.

„Mein eigenes Hauptaugenmerk gilt primär der Frage, wie sich Bonhoeffers Religions- und Kirchenkritik einerseits und seine existentiell vertiefte Theologie und die damit verbundene Frömmigkeit bzw. Spiritualität andererseits zueinander verhalten. Das hier gleich vorweggenommene Ergebnis meines eigenen Nachdenkens und Nachforschens ist, dass beides bei genauerem Hinsehen zusammengehört und sein Zeugnis gerade in dieser Hinsicht für uns als heilsame Herausforderung und hilfreiche Orientierung relevant ist.“(6)

Ich höre in diesen Worten – in dem Ineinander von Kirchenkritik, Theologie und Frömmigkeit – natürlich auch das Zentrum von dem, was uns als Pfarrgeschwisterschaft ausmacht und wichtig ist. Karl war von 2004–2012 Senior der bayerischen Pfarrbruderschaft und auch über diese Zeit hinaus wichtiger Gesprächspartner und Impulsgeber für uns allgemein. Er war aber auch im Besonderen für viele von uns anregender Gesprächspartner, seelsorgerlicher Zuhörer oder einfach ein guter Freund. Das ist in vielen Nachrichten und Worten an seine Töchter und die ganze Familie deutlich geworden. Für all diese Gedanken und Worte darf ich hier stellvertretend als Schwiegersohn Danke sagen! 

Karl kreist in seinem Buch um die Frage Bonhoeffers „wer Christus heute für uns eigentlich ist“.(7) Das Ergebnis dieses Kreisens mag ich hier nicht in Gänze wiedergeben – es möge jede und jeder einfach selbst nachlesen – aber soviel: Karl wünscht sich eine genauere, weil christologische Brille für unsere Theologie und unsere Weltwahrnehmung, damit wir genauer hinschauen. „Und all das soll hineingeschaut werden in den Weg Jesu Christi. Im ‚Vorletzten‘, auf den Straßen Galiläas leuchtet  bereits sein Reich auf, und der Weg geht vom Karfreitag zum Ostermorgen und damit auch in die ‚Welt,
die unsichtbar sich ums uns weitet‘.“(8)

Mir liegt auf der Zunge zu fragen, ob wir dafür nicht doch ebenso eine genauere (!) anthropologische Brille bräuchten – ja, unseren Kontext, unsere Zeitgenoss*innenschaft – aber da sehe ich vor meinem inneren Auge schon Karl die Augen nachdenklich grübelnd bewegen und an seiner Pfeife ziehen und  belasse es lieber dabei.

und mit euch gehen in ein neues Jahr

Um wache Zeitgenoss*innenschaft geht es gleich in unserer digitalen Januartagung am 13. Januar 2025 von 14:30 Uhr bis ca. 18:00 Uhr per Zoom: „Kirche der Schwachen in Resonanz zum Pfarramt des/r Starken. Spannungsbögen der Pfarridentität am Beispiel der Biographie als Züricher Pfarrer“. Referent ist Christoph Sigrist, 2003-2023 Pfarrer am Großmünster in Zürich, aktuell Dozent an der  Universität Zürich.

Zur Anmeldung die Anmeldegebühr von 10 € vorab überweisen an Bayerische Pfarrgeschwisterschaft IBAN DE35 5206 0410 0003 3150 29 und eine Mail an pfarrgeschwisterschaft@elkb.de schreiben. Die Zugangsdaten werden dann per Mail geschickt.

Alle paar Jahre wird es bei unseren Tagungen poetisch. Bei der Pfingsttagung 9.-11. Juni 2025 wird es dazu auch noch kreativ und experimentell. Zu Gast ist Birgit Mattausch, Autorin und Pastorin sowie Referentin für experimentelle Homiletik.(9) Sie ist stark in sozialen Medien aktiv und engagiert in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt innerhalb der evangelischen Kirche sowie der Unterstützung ziviler Seenotrettung im Mittelmeer. Bei unserer Tagung beschäftigen wir uns mit dem Schreiben: „Wörter, Engel, Reflektionen. Ein Tag zum Schreiben, Spielen und damit nicht allein sein.“ Wir widmen uns also  einer Kernkompetenz des Pfarrberufes, aber: unverzweckt und spielerisch.

FLEXPREISE (jeder bezahlt das, was er kann, mindestens die niedrigsten Werte): Einzelperson: 70-100 Paare: 110-150 1 Ew mit Kind: 90-120 Familie: 120-160 Tagesgast: 40-50.

Anmeldung bis 07. April 2025: Mark Meinhard, Geschäftsführer, Am Kirchenbuck 1, 91166 Georgensgmünd Telefon: 09172/4748902, pfarrgeschwisterschaft@elkb.de Auch hier bitte den Beitrag vorab auf das Konto mit der IBAN DE35 5206 0410 0003 3150 29 überweisen.

Jetzt wünsche ich euch eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit, viel Kraft für etwaige Dienste und allerlei Plätzchen in den Pausen dazwischen.


Ihr/Euer
Thomas Braun


(1) Oekumenische Kommission für die Pastoration der Kriegsgefangenen (Hg.): Das Zeugnis eines Boten. Zum Gedächtnis von Dietrich Bonhoeffer, Genf 1945.
(2) Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, hg. v. Eberhard Bethge, Gütersloh 121983 (11951), S.204f.
(3) Dietrich Bonhoeffer/Maria von Wedemeyer: Brautbriefe Zelle 92. 1943–1945, hg. v. Ruth-Alice von Bismarck und Ulrich Kabitz, München 62010 (11992). 208–210.
(4) Bonhoeffer/Wedemeyer, Brautbriefe, 208.
(5) Hohenwarsleben 2024. Erschienen im Verlag Westarp BookOnDemand. – Vgl. auch im Korrespondenzblatt Nr. 11, S. 216–221, den ersten Teil eines Aufsatzes zum Thema.
(6) Eberlein, Bonhoeffers, 11.
(7) Eberlein, Bonhoeffers, 147 u.ö. Das zugrundeliegende Zitat bei Bonhoeffer, Widerstand, 132; DBW 8, 402.
(8) Eberlein, Bonhoeffers, 132.
(9) Eine Lektüreempfehlung oder als Weihnachtsgeschenk: Birgit Mattausch, Bis wir Wald werden: Roman,  Stuttgart 2023.