Stellungnahme der Bayerischen Pfarrbruderschaft zum EKD-Impulspapier "Kirche der Freiheit"

Das EKD-Impulspapier wird gegenwärtig lebhaft und kontrovers diskutiert. Kritischen Einwänden wird gelegentlich entgegengehalten, dass es ja nur um Impulse gehe und dass diese Impulse je nach regionaler und landeskirchlicher Situation unterschiedliche Konsequenzen hätten. Unbeschadet dessen gehen wir davon aus, dass einige Grundgedanken des Impulspapiers auf verschiedenen Ebenen unserer Kirche ihre eigene Wirkungsgeschichte entfalten und in ihrer Zielrichtung auch für unsere Landeskirche von Bedeutung sein werden.

Insgesamt wirft das Impulspapier gewichtige Fragen auf, die insbesondere auch das Kirchenverständnis, die Identität des geistlichen Amtes sowie die Einschätzung unserer religiös-weltanschaulichen Gegenwartssituation betreffen. Angesichts dessen ist es ein oberflächlicher Fehlschluss, wenn einige Befürworter des Impulspapiers kritischen Einwänden allzu eilfertig Reformunwilligkeit oder Verteidigung von Partikularinteressen unterstellen.

Die Pfarrbruderschaft hat es sich seit ihrer Gründung in der Zeit der Bekennenden Kirche zur Aufgabe gemacht, ihre Stimme insbesondere auch dann zu erheben, wenn es um den Weg unserer Kirche in einer grundsätzlichen Weise geht. Dies scheint uns im Hinblick auf das EKD-Impulspapier der Fall zu sein. So kommt es uns in unserer nachfolgenden Stellungnahme nicht auf einzelne, sicher immer modifikationsfähige Details an. Wir verzichten auch darauf, in einer bestimmten Art von "political correctness" positive und negative Aspekte des Papiers gegenseitig aufzuwiegen. Wir konzentrieren uns auf die Punkte, die wir in ihrer Zielrichtung für dringend diskussionsbedürftig halten.

1. Wachsen "gegen den Trend"...

Das EKD-Impulspapier propagiert einen "von Hoffnung getragene(n) Realismus" (S.32). Zugleich fordert es von den kirchlichen Mitarbeitern den Willen ein, "gegen den Trend wachsen zu wollen" (S.7, Vorwort). Dieses Wachsen-Wollen gegen den Trend mündet in konkrete, bewusst hoch gesteckte Ziele ein:

Der Bevölkerungsanteil der evangelischen Kirchenglieder an der Gesamtbevölkerung (gegenwärtig 31,3 Prozent) soll bis 2030 mindestens auf der gleichen Höhe bleiben.

Der Gottesdienstbesuch soll sich von 4 auf 10 Prozent steigern. Die Inanspruchnahme kirchlicher Kernangebote soll sich auf 50 Prozent aller Mitglieder verdoppeln (S.52).

Hierzu halten wir fest:

  1. Im Neuen Testament wird Wachstum zunächst einmal als geistlicher Vorgang verstanden, der im Herzen der Gläubigen einsetzt (vgl. z.B. 2.Kor. 10,15; Eph. 4,15; Kol. 1,10 u.ö.). Quantitatives Wachstum steht mit diesem geistlichen Wachstum in engem Zusammenhang und bleibt in alledem ein unverfügbarer Vorgang, den Gott selber ins Werk setzt (vgl. Apg. 5,14). Für das geistliche Wachstum sind kommunikative Begriffe wie "lieben", "trösten", "stärken", "ermahnen", (aufeinander) "acht haben" zentral.
    Die im EKD-Impulspapier bevorzugt verwendete, aus anderen Lebenskontexten entlehnte Begrifflichkeit ("Qualitätsmanagement", "Qualitätskontrolle" usw.) ist im Vergleich mit der neutestamentlichen Redeweise zumindest defizitär, in gewisser Hinsicht auch konträr dazu und insgesamt in ihrer technokratischen Sprachform geistlos.

  2. In der Zielsetzung werden – trotz des propagierten Realismus – weder die gesamtgesellschaftliche Entwicklung noch die religiös-weltanschauliche Großwetterlage wirklich ernst genommen. So sehr es gewiss darauf ankommt, vor Trends nicht einfach zu kapitulieren und sich nicht in Untergangängste hineinzusteigern, so gilt es doch auch, nicht wieder neu kirchlichen Machtphantasien zu erliegen. Wir haben (insbesondere in den Gebieten der alten Bundesländer) wahrzunehmen, dass wir nicht in einem bisher heidnischen Land agieren, in dem von Missions- und Kommunikationskampagnen eine entsprechende Neuigkeitswirkung erhofft werden könnte. Wir leben in einem Kulturraum, dessen "Christlichkeit" über Jahrhunderte hinweg mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt wurde. Wir haben deshalb anzuerkennen, dass Kirchenaustritte auch als Folge der nicht nur seit 1919 rechtlich verbürgten, sondern immer mehr auch im Bewusstsein der Bevölkerung realisierten Religionsfreiheit verstanden werden können. Wir sollten ernst nehmen, dass – wie alle Umfragen belegen – auch ein erheblicher Teil der Kirchenglieder mit wesentlichen Inhalten des christlichen Glaubens nicht übereinstimmt und sich somit voraussichtlich auch in Zukunft der Anteil der Konfessionslosen weiter erhöhen wird. Die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Christus ist nun mal keine Angelegenheit einer Allerweltsweisheit, bei der es primär auf möglichst große menschliche Geschicklichkeit ankäme.

    Wir sollten ebenso zur Kenntnis nehmen, dass voraussichtlich auch der Bevölkerungsanteil von Gliedern anderer Weltreligionen (insbesondere der Muslime) weiter steigen wird. Mit allem ist nach menschlichem Ermessen damit zu rechnen, dass der Bevölkerungsanteil der evangelischen Kirchenglieder weiter zurückgehen wird. Inzwischen leicht verbesserte Trends in der Relation von Kirchenaustritten und -eintritten rechtfertigen noch lange keine Erwartungen, die an den religiös-weltanschaulichen Grundbedingungen unserer Gesellschaft einfach vorbeigehen. Andere Grundbedingungen ließen sich nur durch Zwangsmaßnahmen schaffen, die hoffentlich niemand in unserer Kirche insgeheim herbeisehnt.

    Ein "von Hoffnung getragener Realismus" muss wirklich auch durch diesen Realismus hindurch. Unsere Hoffnung darf nicht auf Schönfärberei gegründet sein. Sie lebt von der Zusage Jesu Christi, dass er bei seiner Kirche ist und bleibt "bis an der Welt Ende" (Matth. 28,20). Wenn seine Kirche immer auch "Kirche vor Ort" ist, dann bedeutet dies ein Wirken unter den jeweiligen Bedingungen, die nicht insgeheim ignoriert, freilich auch nicht dramatisiert werden dürfen: Eine Kirche, die ihren aus staatskirchlicher Vergangenheit herrührenden Gesellschaftsanteil nicht in der bisherigen Quantität halten kann, ist damit noch lange nicht auf dem Weg hin zu einer marginalisierten Minderheit.

  3. Wenn Erwartungen und Zielsetzungen nicht nur "anspruchsvoll" (S.52), sondern mit der Tendenz zur Realitätsverkennung formuliert werden, ergibt sich daraus die fatale Folge, dass in unserer Kirche ein Ton der Ungeduld und der gegenseitigen Schuldzuweisungen Einzug halten könnte. So beklagt das Impulspapier, dass ein zahlenmäßig "vermehrter Einsatz von Pfarrerinnen und Pfarrern sich in der Vergangenheit nicht mit einer Stabilisierung oder Steigerung der Kirchenmitgliederzahlen verbunden hat" (S.74). Deshalb wird bei den Geistlichen ein "neues Qualitätsbewusstsein" und eine "stetig wachsende geistlich-missionarische Kompetenz" (ebd.) eingefordert. Selbstverständlich müssen auch Pfarrerinnen und Pfarrer zu einer kritischen Überprüfung ihres Tuns und Lassens bereit sein. Etwas anderes ist es jedoch, ihnen mehr oder weniger deutlich die Schuld oder zumindest einen wesentlichen Teil der Verantwortung für Entwicklungen anzulasten, die nur zu einem sehr begrenzten Teil in den Bereich ihrer Einflussmöglichkeiten fallen.

2. Pfarrer in einem "Netzwerk von Ehrenamtlichen"...

Gegenstand aufmerksamer Betrachtung ist in dem Impulspapier das Verhältnis von haupt- und ehrenamtlicher Tätigkeit in der Kirche. Unter den hauptamtlich ausgeübten Berufen tritt insbesondere der Pfarrberuf in das Zentrum der Aufmerksamkeit; anderen in der Kirche ausgeübten Berufen wird signifikanterweise erheblich weniger Beachtung geschenkt. Der Pfarrberuf wird als „Schlüsselberuf der evangelischen Kirche” (S.71) angesehen.

Zugleich wird wiederholt die mangelnde Qualität der Dienstausübung bei zumindest einem erheblichen Teil der Pfarrerschaft beklagt (vgl. u.a. S.72-74). Ebenso wird eine deutliche Rollenveränderung in der Ausübung des hauptamtlichen Pfarrdienstes propagiert: Die Pfarrerin oder der Pfarrer solle „zur oder zum leitenden Geistlichen eines Netzwerkes von Ehrenamtlichen” werden (S.68). Die Aufgabe der öffentlichen Verkündigung (und teilweise wohl auch der Sakramentsverwaltung) sollen sie sich mit Prädikanten und Lektoren teilen, wobei „für viele Teile der evangelischen Kirche” an ein Verhältnis von 1:1:1 gedacht ist (S.69). Die „Amtshandlungszuständigkeit” (inkl. der Kasualien) hingegen soll primär bei den Pfarrerinnen und Pfarrern verbleiben (ebd.). Folgende Kompetenzen der hauptamtlichen Geistlichen werden für besonders wichtig erachtet (S.73): „theologische wie seelsorgerliche Amtshandlungskompetenz”, „missionarische Innovationskompetenz”, „gabenorientierte Motivations- und Qualifikationskompetenz, die das Engagement der Ehrenamtlichen fördert und bestärkt”, „qualifizierte Führungskompetenz”.

Hierzu halten wir fest:

  1. Wir bestreiten nicht den Wert solcher Kompetenzen. Indem sie aber in dieser Weise in den Vordergrund treten, lassen sie zugleich das als zweitrangig erscheinen, wozu sich Geistliche primär in ihrer Ordination verpflichtet haben. Somit fragen wir uns, welche Bedeutung dann die Ordinationsfrage überhaupt noch hat.

  2. Wir weisen darauf hin, dass nicht alles zugleich zu haben ist: Wenn Geistliche neben ihrer „Amtshandlungszuständigkeit” primär mit kybernetischen Aufgaben befasst sowie Trainer und Motivierer von Ehrenamtlichen sein sollen, dann können sie nicht auch noch weiterhin die „wichtigsten Ansprechpartner” für die jeweiligen (nicht ehrenamtlich engagierten) Gemeindeglieder vor Ort sein und überdies sogar noch ihre „Erreichbarkeit verbessern” (so S.69).

  3. Im Verhältnis von Pfarrern, Prädikanten und Lektoren ist im Impulspapier (wie auch sonst gegenwärtig in unserer Kirche) das Proprium des jeweiligen Dienstes viel zu wenig bedacht. Ohnehin bereits vorhandene Rollenkonflikte werden dadurch weiter verstärkt. Außer Betracht bleibt auch, dass im hauptamtlichen Pfarrdienst (bisher) stets Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung mit den Kasualien und der seelsorgerlichen Begleitung der einzelnen Gemeindeglieder eine integrative Einheit gebildet haben. Diese Einheit wird de facto aufgegeben, wenn der ausdrücklich auch von uns bejahte und geschätzte Dienst unserer Prädikanten und Lektoren künftig in dem Umfang vollzogen werden soll, wie es das Impulspapier anvisiert.

  4. Gleiches gilt, wenn verstärkt „Grundformen seelsorgerlicher Betreuung” in die Hände Ehrenamtlicher gelegt werden sollen (S.69). Dies hätte zur Folge, dass Pfarrerinnen und Pfarrer seelsorgerlich nicht mehr wirklich „vor Ort” – nämlich in den Häusern der Gemeindeglieder – präsent wären. Gerade auch im Hinblick auf die kirchlich distanzierten Gemeindeglieder halten wir diese Art der seelsorgerlichen Präsenz der Geistlichen für überaus wichtig und nur sehr begrenzt für delegierbar. Diese Präsenz der Geistlichen ist selbst in größeren Gemeinden und ebenso unter Diasporabedingungen möglich, sofern es den Pfarrerinnen und Pfarrern gelingt, sich gegen eine heillose Verzettelung ihrer Kräfte in anderen Bereichen des kirchlichen Alltags zu wehren.

    Uns geht es in alledem nicht um die Verteidigung pfarrherrlicher Macht gegenüber Ehrenamtlichen, wohl aber um die seelsorgerliche Identität des Pfarrberufs. Diese aus unterschiedlichen Gründen ohnehin schon beschädigte Identität gilt es neu zu stärken und nicht – wie im Impulspapier – weiter zu schwächen.

  5. Es steht außer Zweifel, dass ehrenamtliches Engagement für unsere Kirche von überaus großer Bedeutung ist. Zugleich schleichen sich bei der Verwendung des Wortes „ehrenamtlich” zusehends Unklarheiten und ideologische Vernebelungen ein. Es wird peinlichst verschwiegen, dass es höchst unterschiedliche Motive für den „ehrenamtlichen” (= freiwilligen, unbezahlten) Dienst geben kann und dass bei Weitem nicht alle diese Motive für den Einsatz förderlich sind. Die Ehrenamtlichen erscheinen nahezu in allen kirchlichen Papieren und so auch im Impulspapier als die unbegrenzt Bereitwilligen, die zeitlich und qualitativ zu praktisch jedem Diensteinsatz fähig sind, wenn man sie nur entsprechend zum Zuge kommen lässt. Belastungsgrenzen, an die gerade kompetente und verlässliche Ehrenamtliche immer wieder auch erinnern, werden viel zu wenig berücksichtigt.

  6. Zu diesem verklärten Blick gesellt sich eine merkwürdig bevormundende Tendenz: Ehrenamtliche können praktisch alles – aber zu allem müssen sie erst einmal seitens der Hauptamtlichen motiviert und angeleitet und in allem von ihnen begleitet und gestärkt werden. Wir erinnern angesichts dessen daran, dass in der Installationsfrage der Pfarrer/die Pfarrerin gefragt wird, ob er/sie bereit ist, „mit allen, die in der Gemeinde Dienst tun, zusammenzuarbeiten”. Gefragt wird bemerkenswerterweise nicht nach der Bereitschaft zur Motivation und Anleitung. Zusammenarbeit bedeutet eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe. Mit „Anleitung”, „Begleitung” und „Motivation” ist hingegen in der Regel ein Vorgang von „oben” nach „unten” bezeichnet.

Somit meinen wir:

Unter dem Pathos der Ehrenamtlichkeit kann sich sehr viel Klerikalismus verbergen. Andererseits ist es noch lange nicht klerikal gedacht, wenn man das, wofür Geistliche einmal ausgebildet und berufen worden sind (insbesondere die Aufgaben der öffentlichen Verkündigung und der Seelsorge), nicht für beliebig delegierbar hält – solange dies mit der Bereitschaft einhergeht, Ehrenamtlichen ihre eigene (auch eigenständige!) Kompetenz zuzubilligen. In der Tat bringen Ehrenamtliche durch ihre je eigene Lebens-, Glaubens- und Berufserfahrung gewichtige Kompetenzen ein, die sie etwa in Gruppen und Kreisen, in Initiativen und Projekten, in der Diakonie oder auf dem Bau-, Verwaltungs- und Finanzsektor für das kirchliche Leben fruchtbar machen können. Wenn man den Einsatz der Ehrenamtlichen wirklich ehren will, dann kann dies nicht zuletzt dadurch geschehen, dass man die Eigenständigkeit ihres Dienstes anerkennt und nicht alles doch wieder unter der Obhut der Pfarrer als den „leitenden Geistlichen” sieht.

3. Die Erweiterung des Gemeindebegriffs

Das Impulspapier plädiert für eine "Erweiterung des Gemeindebegriffs" (S.54). Es soll künftig "verschiedene, in gleicher Weise legitime Gemeindeformen" geben, außerdem soll "ein verantwortetes Maß an Wettbewerb unter der Gemeindeformen und -angeboten" unterstützt werden (S.53).

Neben der Parochialgemeinde, die weiter als "Grundform" angesehen wird, werden insbesondere genannt (S.55f): Anstaltsgemeinden, Profilgemeinden, Richtungsgemeinden, Migrantengemeinden, Regionalkirchen, Passantengemeinden, Mediengemeinden.

Wir stellen hierzu fest:

  1. Auch in unserem bisherigen Sprachgebrauch reden wir von "Gemeinde" in unterschiedlicher Weise: Während eine "Kirchengemeinde" eine fest umrissene, auch rechtlich fixierte Größe ist, kann darüber hinaus praktisch jede Zusammenkunft von Menschen in Christi Namen als "Gemeinde" bezeichnet werden. Wenn – wie im Impulspapier – diese Unterscheidung unterschiedlicher Sprachebenen nicht mehr hinreichend bewusst ist, hat dies eine wenig hilfreiche Begriffsverwirrung zur Folge. Wenn man etwa "Parochialgemeinden", "Passantengemeinden" (= "Gemeinden bei Gelegenheit") oder "Mediengemeinden" begrifflich auf eine Stufe stellt, vergleicht man Äpfel mit Birnen.

  2. Auch wir meinen, dass eine Ortsgemeinde ("Parochialgemeinde") nicht ihr Genügen in sich selbst haben kann. Das sollte allmählich Konsens sein, dessen Realisierung leider immer noch zu wünschen übrig lässt. Es bedarf der Zusammenarbeit der einzelnen Gemeinden in einer Region und des Zusammenwirkens von parochialer und überparochialer Ebene nach den Grundsätzen der Arbeitsteilung, der Synergie oder der Delegation. Es bedarf der durchlässigen Grenzen und der vernetzten Strukturen. In einigen der im Impulspapier verwendeten Gemeindebegriffe (z.B. Anstaltsgemeinde, Regionalkirche, Passantengemeinde) geht es um solche Formen von übergemeindlicher Kooperation und Delegation, die nicht in Konkurrenz zur Ortsgemeinde, sondern in Relation zu ihr hin entwickelt werden. Anders verhält es sich bei Profilgemeinden, sofern darunter mehr zu verstehen ist als lediglich eine bestimmte örtliche Schwerpunktsetzung im Rahmen regionaler Kooperation. Wenn weiter auch die Bildung von Richtungsgemeinden propagiert wird, ist damit das Konkurrenzverhältnis eindeutig. In dieser Hinsicht sollte man dann auch ehrlicherweise nicht mehr von einer Vielfalt von Gemeindeformen reden, sondern von einem Nebeneinander konträrer Gemeindevorstellungen unter dem großen Dach der EKD.

  3. Deutlich fällt im Impulspapier die Kritik an der Milieuverengung der Ortsgemeinden aus (vgl. z.B. S.54). Dabei wird zu wenig anerkannt, dass wesentliche Dienstbereiche innerhalb der Ortsgemeinde (Kasualien, Seelsorge, Unterricht) schon immer mögliche (etwa in Gruppen und Kreisen anzutreffende) Milieuverengungen transzendiert haben. Weiter bleibt offen, wie ausgerechnet etwa in Tendenz- oder Profilgemeinden keine Milieus mehr vorherrschen sollen. Ebenso bleibt offen, wieweit Gemeindeformen, die nicht mehr nach dem ortsgemeindlichen Parochialsystem organisiert sind, überhaupt Grundformen gemeindlichen Lebens abdecken können (neben Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung etwa auch Kasualien, Seelsorge und Konfirmandenunterricht). Oder sind sie nur für die "Kür" zuständig, während die "Pflicht" weiterhin den Ortsgemeinden obliegt?

  4. Wir weisen darauf hin, dass die Frage nach dem Stellenwert einer Ortsgemeinde nicht nur pragmatischer Natur ist. So läuft im 1. Korintherbrief die Argumentation des Apostels Paulus darauf hinaus, dass Christen so zusammengehören, wie sie vor Ort auch zusammenleben. Eine christliche Gemeinde ist kein Sympathisantenverein von ohnehin Gleichgesinnten und Gleichgestimmten. Ihr Bindeglied ist der gemeinsame Herr. Deshalb gilt: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob" (Röm. 15,7). Strukturen einer Ortsgemeinde sind gewiss immer wieder auch veränderungsbedürftig. Nicht zur Disposition steht für uns das Prinzip ortsgemeindlicher Kirchenorganisation als solches. Dieses Prinzip eröffnet über Gemeindegrenzen hinweg Möglichkeiten der Kooperation, Arbeitsteilung, Delegation und Synergie – aber es steht nicht für organisierte Konkurrenz. Es ermöglicht durchlässige Grenzen und vernetzte Strukturen – aber es steht nicht für Parallelstrukturen.

4. Kirche der Freiheit?

Abschließend weisen wir darauf hin, dass der Titel des Impulspapiers „Kirche der Freiheit” uns als zu vollmundig erscheint: Wir sind nicht Kirche der Freiheit. Wir können es immer nur je und je neu werden. Wir sind – als einzelne Kirchenglieder und ebenso als Kirchengemeinschaft – darauf angewiesen, dass der in Christus offenbare Gott der Freiheit uns tagtäglich neu in seine Freiheit ruft. Wir stehen zugleich stets in der Gefahr, diesen Ruf zu überhören. Es kann nicht darum gehen, „dass die evangelische Kirche auch im 21. Jahrhundert als eine Kirche der Freiheit leuchtet” (Vorwort, S.9). Sie kann nur den Herrn bezeugen, der sie als Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern „zu freiem, dankbarem Dienst” befreit (Barmer Erklärung, 2. These).

Roth, im April 2007

Im Namen des Rates der Schwestern und Brüder der Bayerischen Pfarrbruderschaft

Dr. Karl Eberlein, Senior

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Ein Beitrag vom 07. 05. 2007 zu der Stellungnahme des Bruderrats zum EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“

"Vielen Dank für Ihre Stellungnahme! Sie könnte noch eingehender sein - z.B.:

-das Wort „Seelsorge“ kommt nirgendwo vor, dagegen wird man mit „aus anderen Lebenskontexten entlehnten Begrifflichkeiten“ wie „Qualitätsstandard, -kompetenz, -sicherung, -kontrolle, -orientiertheit, -prüfung, -management, -niveau, -ansprüche, -bewusstsein“ überschwemmt.

- (zu S. 68, 2. Sp.) Die Behauptung, dass „ins Ehrenamt Ordinierte“ „in der Regel eine volle theologische Ausbildung vorweisen“, Prädikantinnen und Prädikanten über „eine theologische Ausbildung sowie eine Fortbildung in Fragen des Gemeindedienstes verfügen“, und „engagierte Laiinnen und Laien, die Andachten selbständig halten“, zur Verfügung stehen, soll offensichtlich den pastoralen Dienst von Geistlichen, bzw. von Pfarrerinnen und Pfarrern überflüssig machen. Ebenso antiautoritär ist die Ermutigung von ausgebildeten und begleiteten Ehrenamtlichen, „geistliches Leben vor Ort verantwortlich und selbstbestimmt zu gestalten“.

- (zu S. 69, 2. Sp.) Wenn die Ortsgemeinde den Profil-, Regional-, Medien-, City- und anderen (Para)Gemeinden weichen sollen, zerstört das die noch lebendenden (früher sagte man in der DDR „arbeitenden“) Gemeinden. Das prognostizierte Zahlenverhältnis 1 Pfarrerin bzw. Pfarrer im neuen Bewusstsein als „Wanderpredigerin“ bzw. „Wanderprediger“ (wörtlich!), Amtshandlungsträgerin bzw. Amtshandlungsträger, Trainerin bzw. Trainer, Motiviererin bzw. Motivierer, Begleiterin bzw. Begleiter etc., plus 1 Prädikantin bzw. Prädikant, plus 1 Lektorin bzw. Lektor soll anscheinend das Pastorale, seelsorgerlich Verpflichtende, wie es im Ordinationsgelübde ausgesprochen wird, überflüssig machen. Es ist wiederum eine (für meine Begriffe: verklemmte) Antiautoritätsfrage, an der Nicht-Ordinierte (evtl. auch ins Ehrenamt Ordinierte) sich stoßen

- Das Vokabular, die Ausdrucksweise und Diktion des ganzen Impulspapiers deutet auf von sich überzeugten Erwachsenenbilderinnen bzw. -bildnern. Auffallend sind in diesem Zusammenhang auch die Forderungen, die Schulungs-, Bildungs-, Fort- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen finanziell zu fördern und dafür Fachkundige zu beschäftigen. Ihnen soll ein gewisses Aufsichts-, Kontroll- und Qualitätssicherungsrecht zustehen

- Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hatte in seinem Grußwort (Jan. 2007 in Wittenberg) auf die noch intakten Gemeinden auf dem Lande und in den Randzonen der Städte hingewiesen. Die Gemeindearbeit stünde auf den drei Säulen (1) Verkündigung und Sakramente, (2) Unterweisung, und (3) Seelsorge. Aber das liegt offensichtlich nicht im Trend der Zeit. Für mich unverständlich bleibt, dass die Foren der 230 Vertreter aus 23 Landeskirchen auf nicht darauf eingegangen sind."

Ich hätte noch andere konkrete Punkte. Aber ich will nicht überfordern. Doch wir stehen an einem Umbruch.
Im Herbst folgt bereits die nächste Synode, die auf der vorhergehenden aufbaut. Warum diese Eile?


Pfarrer i.R. Dr. Friedrich Haarhaus, Scherpemicher Str. 12 53819 Neunk.-Seelscheid