Thesen zur Pfarrerbesoldung aus dem Jahre 1999

  1. Wir wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Zum Beispiel deshalb, weil Kirche immer zweierlei ist: eine soziale Institution in der Gesellschaft und eine geistliche Größe jenseits der Gesellschaft. Die Bibel verwendet dafür unter anderem die Bilder vom "Leib Christi" (1.Kor. 12) oder vom "heiligen Tempel", aufgebaut auf dem Grund der Apostel und Propheten (Eph. 2).

  2. Wir wissen aber auch, dass wir nicht das Recht haben, das eine vom anderen zu trennen. Barmen III sagt: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen überlassen."

  3. So muss in der Kirche zwar unbedingt über Arbeit und Sabbat, Geld und Anerkennung, Macht und Freiheit, Preise und Leistungen geredet werden, weil sie eine Kirche von Menschen ist. Es muss aber kirchengemäß davon geredet werden, nicht unter Übernahme der gerade herrschenden gesellschaftlichen Leitbilder, sondern unter sorgfältiger Prüfung derselben mit Hilfe biblischer Orientierungen.

  4. Die in der Kirche geleistete Arbeit ist wie jede menschliche Arbeit ihres Lohnes wert und hat ihre Grenze im Sabbat. Sie geschieht aber zugleich in den großen Zusammenhängen der Gemeinde Christi und des Reiches Gottes. Darum kann sie sich nicht nur über den dafür erzielbaren Lohn definieren. Das gilt nicht nur für die ehrenamtliche Arbeit, wo dies selbstverständlich ist, sondern auch für die hauptamtliche Arbeit.

  5. Geld ist, näher betrachtet, immer ein Mittel: es dient dazu, den notwendigen Lebensunterhalt zu fristen, es gewährleistet mehr oder weniger große Freiheit. Als Mittel zu Macht und Anerkennung ist es - nicht nur in der Kirche - sehr problematisch. Als universaler Maßstab und Wert aller Werte ist es Ersatzreligion und als solche ein Irrglaube.

  6. Die Motivation für die Arbeit in der Kirche muss sich aus anderen Quellen speisen: aus einer Vertiefung der geistlichen Beziehung zur Arbeit und den Mitarbeitenden, aus sozialer Wahrnehmung und sozialer Anerkennung in der Gemeinschaft, aus dem verantwortlichen Gebrauch und der Entwicklung der persönlichen Gaben fürs Ganze.

  7. Ordnung wird in einer reformatorischen Kirche nicht durch eine Hierarchie von Ämtern gewährleistet, sondern durch die Versammlung aller Gläubigen, die alle Anteil an dem einen Amt haben. Auch Autorität wird durch das Wort und nicht durch eine in Besoldungsgruppen zum Ausdruck gebrachte Machtposition ausgeübt. Insofern ist eine Besoldungsdifferenzierung gemäß einer irgendwie definierten besonderen oder geringeren Bedeutung kirchenfremd. Es ist neutestamentlich kaum begründbar, warum allein die Gabe der Leitung und Verwaltung eine solche herausgehobene Bedeutung rechtfertigen sollte und alle anderen Gaben nicht.

  8. Der Ertrag einer Arbeit im Pfarrberuf entzieht sich weitgehend objektiven Maßstäben. Er kann höchstens in gemeinsamer Übereinkunft und unter Vorbehalt begrenzter menschlicher Einsicht festgestellt werden. Deshalb und auch wegen der Differenziertheit der Arbeitsfelder und Berufsprofile sind der Leistungsfeststellung, dem Leistungsvergleich und der leistungsbezogenen Bezahlung enge Grenzen gesetzt.

  9. Die Anfragen an das derzeitige Besoldungssystem kommen nicht wie in früheren Jahren von Seiten derer, die eine mehr kirchengemäße, mehr biblische Ausgestaltung der Besoldung vermissen. Sie kommen aus der Logik der Ökonomie, die über Angebot und Nachfrage den Preis für knappe Güter feststellen und Menschen nach ihrer Produktivität in Bezug auf solche geldwerten Güter gerecht bezahlen will. Mögen marktwirtschaftliche Regelkreise z.T. durchaus auch in der Kirche ein sinnvolles Instrument darstellen - als Maßstab und Grundprinzip sind sie vom Prinzip her ungeeignet. Wir Pfarrerinnen und Pfarrer haben versprochen, "das Evangelium lauter und rein zu verkündigen" und das heißt doch, in Wort und Tat zu bezeugen, dass der Mensch sich sein Heil nicht leisten kann, sondern gratis angenommen und gerechtfertigt ist.

  10. Die Vision eines an messbarer Leistung, monetärer Leistungsbelohnung und unablässiger Effizienz orientierten Pfarrerbildes erweist sich vor reformatorischen Kategorien, aber auch nur mit wenig Fantasie als ein Zerrbild, dem wir nicht weiter nachhängen sollten. Es ist von individueller Berufspraxis und kollegialer Gemeinschaft gleich weit entfernt wie von biblischen Orientierungsmaßstäben.

  11. Wenn wir nicht an Knappheit, Preis und Leistung messen wollen, müssen wir über Lebensbedürfnisse reden. Das Alimentationsprinzip des deutschen Berufsbeamtentums, das unserem derzeitigen Besoldungssystem zugrunde liegt, hat mit diesem Grundgedanken einen Ansatz, der dem biblischen Menschenbild naheliegt. Daß jede/r, auch die Witwe und die Waise, ihr Lebensrecht und Auskommen haben soll, ist der Grundgedanke einer gerechten Gemeinschaft im AT. Dass jede Arbeit mindestens soviel einbringen soll, dass davon zu leben ist, ist Jesu Aussage im Gleichnis von den Weinbergarbeitern. Dass das Predigtamt eine Freistellung von täglicher Erwerbsarbeit durch die Gemeinde nötig machen kann, ist eine Erfahrung der frühen Christenheit.

  12. Wir sollten, wenn wir über eine Veränderung der Pfarrbesoldung nachdenken, dieses Modell zugrunde legen und, wenn möglich, eindeutiger und von seinen ständestaatlichen Verhärtungen befreit durchführen. Es geht dabei nicht um Realismus oder Idealismus - die scheinbare Logik marktwirtschaftlicher Leistungssysteme erweist sich bei näherem Hinsehen auch als in hohem Maße irrational. Wir als Kirche sind der anderen Logik des Evangeliums verpflichtet und sollten sie da, wo wir selber Strukturen bestimmen können, auch anwenden.

  13. Deshalb schlagen wir vor, bei einer Neuordnung der Pfarrerbesoldung folgende Schritte zu erwägen:
    1. Ein einheitliches Grundgehalt auf dem Niveau A13/14 für alle ordinierten Stelleninhaber/innen ohne Ansehen ihrer Dienststellung in der Kirche.
    2. Funktionsbezogene, nicht ruhegehaltsfähige Zulagen für die Dauer von Leitungsämtern und Sonderaufgaben, bei gleichzeitiger (zeitlicher) Begrenzung der Leitungs- und Sonderaufgaben.
    3. Begrenzung der Zeit der zwangsweisen Stellenteilung mit gleichzeitiger Förderung freiwilliger Teilzeitarbeit.
    4. Formen der Anerkennung, die nicht an das Gehalt gebunden sind wie Verfügungsfonds, Zeitguthaben mit der Möglichkeit der Freistellung, personelle Unterstützung im Verwaltungs- und Organisationsbereich, Weiterbildung und Supervision.

  14. Grundsätzlich fordern wir, dass am Alimentationsprinzip als dem theologisch und geistlich begründeten und gerechteren System der Besoldung festgehalten wird.


beschlossen in Sulzbürg am 19. Oktober 1999


Der Bruderrat der Bayerischen Pfarrbruderschaft

Michael Höchstädter, Senior