Interview mit Burkhard Hose

Wie hat Ihr Engagement gegen Diskriminierung und für Zivilcourage begonnen? Gab es ein Schlüsselerlebnis? Oder eine Prägung durch Familie/Freundeskreis? Gibt es Gesichtspunkte aus Ihrer theologischen Existenz?

Als ich 1988/89 für ein Jahr in Luzern studiert habe, wollte ich mich dort neben dem Studium ehrenamtlich engagieren und bin eher durch Zufall dazu gekommen, in einer Erstaufnahmestelle für Geflüchtete, die in einem ehemaligen Hotel untergebracht war, einmal pro Woche den Nachtdienst zu übernehmen. Von da an hat sich mein Blick für die Situation von Menschen auf der Flucht immer weiter geschärft. Erst später ist mir bewusst geworden, dass diese besondere Sensibilität vielleicht auch mit meiner eigenen biographischen Prägung zusammenhängen könnte. Mein Vater ist mit 13 Jahren mit seiner Familie aus Oberschlesien geflüchtet. Dieses besondere Lebensgefühl, das Menschen mit sich tragen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, war für mich immer in unserer Familie präsent.  Flucht, Vertreibung und Exil als historische Erfahrung, aber auch als Bestandteil der eigenen Identität sind mir dann natürlich auch durch meine intensive Beschäftigung mit der biblischen Tradition näher gekommen. Denn dort markieren diese Erfahrungen auch eine bestimmte Haltung und sie haben Folgen für die Ethik. Flucht und Exil sind theologische Grunddaten unserer Tradition, genauso wie die besondere Vorliebe Jesu für Menschen, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt und unsichtbar gemacht werden.

 

Sie engagieren sich ja in mehreren Bereichen: für die Gleichbehandlung homosexueller Menschen in der Kirche, gegen Diskriminierung und Rassismus, im christlich-jüdischen Dialog, im Ombudsrat der Stadt Würzburg. Welcher Bereich ist für Sie im Moment besonders wichtig?

Wichtig sind mir tatsächlich alle Bereiche, aber ich engagiere mich in ihnen von unterschiedlichen Positionen aus. Während ich mich im Ombudsrat, der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle in Würzburg, und im Würzburger Flüchtlingsrat als weißer, in Deutschland geborener Mann aus einer privilegierten Position heraus betätige, bin ich als schwuler Mann in der Katholischen Kirche direkt von deren diskriminierenden Lehre betroffen. Im Eintreten gegen Rassismus und Antisemitismus versuche ich immer mehr zu einem ehrlichen Verbündeten derer zu werden, die täglich von Ausgrenzung und Gewalt bedroht sind. Ich will in einer Gesellschaft leben und für sie eintreten, die jedem Menschen mit der gleichen Achtung und Wertschätzung begegnet, die ich auch für mich beanspruche.

 

Haben Sie Anfeindungen erfahren? Wie geht man damit um?

Anfeindungen z.B. von Seiten der rechtsradikalen sogenannten AfD begegne ich offensiv, indem ich sie sichtbar mache, veröffentliche oder sie auch zur Anzeige bringe. Ich habe gemerkt, dass es wichtig ist, diese Erfahrungen nicht für sich zu behalten und sich auch nicht daran zu gewöhnen. Andererseits bin ich mir auch hier sehr wohl meiner privilegierten Position bewusst. Die Anfeindungen, die ich erlebe, stehen in keinem Verhältnis zu dem, was von Rassismus betroffene Menschen oder Menschen auf der Flucht täglich erfahren. Als schwuler Mann kann ich in Deutschland die Verhältnisse in der katholischen Kirche öffentlich und mit gesellschaftlicher Rückendeckung thematisieren. Als Trans*Person in Uganda oder als schwuler Mann in Russland ist es lebensgefährlich, überhaupt nur sichtbar zu sein.

 

Was gibt Ihnen Kraft, weiterzumachen und Enttäuschungen wegzustecken?

Die Verbundenheit mit vielen tollen Menschen, die ich in den unterschiedlichen Bereichen meines Engagements innerhalb und außerhalb der Kirchen kennengelernt habe, ist ein riesiges Geschenk. Aus diesen Beziehungen schöpfe ich viel Kraft. Meine schwächsten Momente waren rückblickend immer die, in denen ich meinte, irgendwie als Einzelkämpfer oder „einsamer Held“ unterwegs sein zu müssen. Dazu kommt, dass ich mich durch die Botschaft des Evangeliums in meinem Engagement bestärkt fühle. Ich habe die Hoffnung, dass eine gerechtere Welt nicht eine Utopie bleibt, sondern realisierbar ist. Schließlich leitet mich dabei ein bekanntes Wort von Vaclav Havel, das ich mir gerade in schwierigen Situationen immer wieder an meine Seite hole: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Ich mache weiter, weil es für mich Sinn macht.

 

Was würden Sie Menschen empfehlen, die sich gegen Diskriminierung engagieren und Zivilcourage zeigen wollen?

Suche Dir Menschen, mit denen du dich verbünden kannst!

 

Welche dunklen Flecken im Hinblick auf Diskriminierung sehen Sie speziell in den Kirchen?

Während die Kirchen im Blick auf Antijudaismus und Antisemitismus in den vergangenen Jahrzehnten in meiner Wahrnehmung wirklich überzeugende Schritte gegangen sind und sich gerade auch in den Jahren nach 2015 glaubwürdig für Menschen auf der Flucht engagiert haben, beobachte ich bei sehr konservativen Kirchenmitgliedern der Großkirchen, in der „Lebensschützer“-Szene und auch in manchen freikirchlichen Kreisen eher eine Zunahme an Hass und Abwertung gegenüber queeren Menschen. Dort scheint es so etwas wie ein Anzeichen besonderer Frömmigkeit zu sein, Menschen abzuwerten. In der katholischen Kirche trete ich dafür ein, dass Menschenrechte eben nicht nur nach Außen, also in Richtung der nicht-kirchlichen Gesellschaft zum Thema gemacht werden, sondern zuerst und vor allem nach Innen zur Geltung zu bringen sind. Wer an einer diskriminierenden Lehre festhält, wer weiterhin Frauen und nicht-binäre Personen von Ämtern ausschließt, bleibt unglaubwürdig.

Was können/sollen/müssen Kirchen und Christ:innen dazu beitragen, dass die Würde aller Menschen in unserer Gesellschaft respektiert wird?

Die leitende Frage für mich ist: Wie kann ich zu einem Verbündeten derer werden, die Diskriminierung erfahren? Das kann damit beginnen, dass ich mich mit meinen eigenen Privilegien kritisch auseinandersetze. Das bedeutet auch, in der prophetischen Tradition der Bibel als Kirchen deutlicher die Stimme zu erheben, wenn Menschen in ihrer Würde herabgesetzt werden. Gleichzeitig geht es darum, dass von Diskriminierung betroffene Menschen in der Kirche nicht Objekte der Zuwendung sind, sondern immer mehr zu handelnden Subjekten werden. Wo, wenn nicht in den christlichen Kirchen, sollten die an den Rand gedrängten Menschen, die ja die bevorzugten Freund*innen Jesu sind, Empowerment erfahren? Meiner katholischen Kirche lege ich ans Herz, zuerst die menschenrechtlichen Lücken in ihrem Inneren zu schließen, jeder Form von Gewalt, Klerikalismus und Machtmissbrauch ein Ende zu bereiten. Erst dann wird ihre Stimme wieder gehört und erst dann kann sie glaubwürdig dazu beitragen, dass die Würde von Menschen auch in der nicht-kirchlichen Gesellschaft mehr Achtung erfährt.

(Die Fragen stellte Beate Krämer.)