Karl-Steinbauer-Zeichen 2019 an Pfarrerin Simone Hahn

Pfrin. Simone Hahn (Mitte) mit Laudatorin Ulrike Lefherz und Senior der Pfarrbruderschaft Frieder Jehnes.

Foto: Frieder Jehnes

„Wann muss ich handeln und warum?“ Diese Frage begleitet Simone Hahn, seit sie 14 Jahre alt ist. Im März 2018 hat die Nürnberger Pfarrerin gehandelt. Als Pegida vor der Jakobskirche Versammlungen abhielt, lud sie zum Friedensgebet ein und ließ dazu die Glocken läuten. Das trug ihr einen Sturm an Hassmails ein. Die Bayerische Pfarrbruderschaft hat ihr während der Pfingsttagung in Heilsbronn das Karl-Steinbauer-Zeichen verliehen, stellvertretend für alle die wegen ähnlicher Aktionen bedroht und verfolgt werden, sagte Senior Frieder Jehnes.

„Sie werfen mit Worte, die schmutzen“, beschrieb die Journalistin Ulrike Lefherz die Ereignisse vom März 2018 sowohl auf dem Platz vor der Kirche als auch in den anschließenden Hassmails. Sie rief die Zuhörer aber auch zur selbstkritischen Reflexion auf mit den Fragen: „Wo sitzt der Nazi in mir? Wo hört meine Toleranz auf?“ Zentral für den Umgang mit Andersdenkende ist für sie das Gespräch über die Ängste der Menschen, in dem man klar die eigene Position vertreten könne, aber immer mit dem Gedanken, dass jeder Mensch ein geliebtes Geschöpf Gottes sei. Simone Hahn habe auf die Pegida-Demonstration und eine laute Gegendemonstration reagiert mit einer Alternative der Liebe und des Verständnisses und des Hineinnehmens statt Ausgrenzens.

Auch Simone Hahn setzt auf Gespräche – und auf die Macht des Gebets. In bewegenden Worten machte sie deutlich, dass vor allem der Missbrauch des Kreuzes als Glaubenszeichen sie zum Handeln bewog. Daher habe sie zum Friedensgebet eingeladen. „Beim ersten Mal waren wir zu viert, beim zweiten Mal schon 50“, erinnert sie sich. Danach kamen die Hassmails und das Gefühl, allein zu stehen. Aber als die Vorgänge an die Öffentlichkeit kamen, erfuhr sie viel Zuspruch: „Worte, die trösten und aufbauen“. Beim nächsten Friedensgebet stand den Demonstranten eine voll besetzte Kirche gegenüber. Inzwischen ist es ruhiger geworden. Simone Hahn hat erlebt: „Gebete wirken. Pegida hat sich zumindest zeitweilig aufgelöst.“

Beate Krämer

Frieder Jehnes überreicht Pfarrerin Simone Hahn das Karl-Steinbauer-Fenster

Laudatio für Simone Hahn, Pfarrerin von St. Jakob in Nürnberg,
Heilsbronn 11.06.2019 – von Ulrike Lefherz

Sie waren nicht zum ersten Mal auf den Jakobsplatz gekommen mit ihrem Lautsprecherwagen. Eine kleine Menge von Menschen auf einem großen Platz.

Einmal, zweimal, dreimal schon waren ihre Worte über den Platz gehallt.
Den Jakobsplatz. Den Platz, der seit Jahrhunderten zu deiner Kirche gehört. Es hallten Worte, die pauschal verdächtigen. Die abwerten. Herabwürdigen. Andere unmöglich machen. Worte, die viele Menschen in unserem Land als „die anderen“ bezeichnen. Gräben vertiefen. Ausländer raus – hieß das früher. Muslime raus – heißt es heute.

Du hast es mit angesehen. Viermal, fünfmal, sechsmal schon hatten sie ihre Worte über den Platz geschrieen. Ihre Bilder gezeigt. Über den Platz, über den sonst deine Glocken schallen. Seit Jahrhunderten mahnt ihr Klang. Kommt zum Gebet. Haltet inne. Sie hatten diese Luft beschmutzt mit Worten, die ablehnen, beschimpfen, ausgrenzen.

Du wolltest diese Worte nicht mehr hören. Und du wolltest den Protest nicht mehr nur denen überlassen, die Trillerpfeifen und Geschrei entgegensetzen. Die Worte über den leeren Platz zurück brüllen, die ebenfalls herabwürdigen. Ablehnen. Ausgrenzen. Nazis raus.

Ich möchte diese Worte nicht mehr, hast du gesagt. Ich will nicht, was die schreien. Auch du wolltest übertönen. Ohne Geschrei übertönen. Du wolltest die Hoheit über den Platz vor deiner Kirche zurück gewinnen. Mitgestalten, was passiert. Mit dem Klang, der sonst zum Gebet ruft. Zum Innehalten mahnt.

Spontan, wie es eben deine Art ist. Einige Minuten. Du hast nachgeschaut, was draußen vorgeht. Vor deiner Kirche nach dem Rechten gesehen. Da fiel der Schuss einer Kamera. Du wurdest rot markiert.

Es waren Worte, die dich anschließend trafen. Sie trafen dich ungeschützt. Zum Angriff mit Worten hatten diejenigen aufgerufen, deren Worte du nicht hören wolltest.
Im Minutentakt trafen sie dich. Worte voller Häme. Worte die einschüchtern sollen. Die fertig machen. Die Macht ausüben. Und den, der getroffen wird, scheinbar ohnmächtig zurücklassen. Sie zielten auch dorthin, wo Frauen am verletzlichsten sind. Sie zielten gegen deine Würde:
Und du hattest deinen Schutzmantel noch nicht angezogen. Den abwaschbaren.

Sie haben es nicht nur mit dir gemacht.
Geschmutzt wird schon lange. Gegen die, die sich öffentlich positionieren.
Gegen Journalisten und Politiker.
Besonders, wenn sie Özdemir, Hajali, Abdollahi heißen.

Seit Menschen nicht mehr mit Speeren und Handgranaten werfen, gehört es zum Handwerkszeug, mit Worten zu kämpfen.
Sie werfen mit Worten, die schmutzen.
Tausendfach und millionenfach werden Worte geklickt, geteilt, geliked.
Copy und Paste für Angriffe gegen die Menschenwürde.
Zum Teil von Maschinen erstellt, hochgerechnet, ausgespien.
Globale Wortverschmutzung.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie gehört geschützt. Dringend.
Mit voller Absicht haben das die Gründungsväter unserer Republik vor 70 Jahren in die Verfassung geschrieben. Als sie das damals verfassten, waren noch nicht alle Leichen begraben. Das ganze Ausmaß der Verbrechen noch nicht erfasst. Die Abgründe standen den Autoren noch klar vor Augen. Was Menschen Menschen antun können. Vermeintlich Zivilisierte. Wahnsinn.

Was ist Würde. Unantastbare Würde?
Jeder ist geachtet. Ein wertvolles Wesen.
Geliebtes Geschöpf Gottes, sagen die Christen.
Durch jeden blickt Gottes Antlitz.
Es gilt für alle.
Für untadelig lebende. Für Gesetzesbrecher.
Für Unversehrte, für Kranke.
Für unpolitische Menschen. Für Arschlöcher. Für Nazis.

Und ab hier wird’s unbequem.
Wir sind doch auf der Seite der Guten.
Wir versichern uns, die Demokratie sei die richtige Staatform.
Der evangelische Landesbischof reist nach Sizilien um gegen das Sterben im Mittelmeer zu protestieren.
Und Straffreiheit für die Retter zu fordern.

Doch es gab Zeiten, da waren wir genau auf der anderen Seite.
80, 90 Jahre ist das her. Da dachte die Mehrheit anders.
Endlich räumt mal jemand auf mit den Übergeschnappten, den Asozialen, mit dem „schändlichen Treiben von Männern mit Männern“. Mit denen aus den Heilanstalten. Die nur kosten und nichts bringen für das deutsche Volk.

Wir Evangelischen wähnten uns dabei auf der richtigen Seite.
Voller Inbrunst die Gebete für den Führer.
Bischöfe, die Gewalt und Diebstahl und Mord an jüdischen Männern, Frauen und Kindern rechtfertigten. Mit alten Schriften Martin Luthers, unseres Helden.
Zwei Hundertschaften an Theologen, die auf der Wartburg beflissen Worte umwälzten im sogenannten „Entjudungsinstitut“. Um Gesangbuchtexte umzudichten. Und alles Jüdische aus der Bibel zu tilgen. Grotesk.

Und in Franken rekordverdächtige Wahlergebnisse. Keinesfalls wegen der Diktatur. Schon vor der Machtergreifung Adolf Hitlers wählten mehr als zwei Drittel extrem Rechts: in Rothenburg, Neuendettelsau, Dinkelsbühl, Gunzenhausen.
Ein Geschenk Gottes sei der Nationalsozialismus, ließ rührselig verlauten einer, der das Sagen hatte in der Diakonissenanstalt in Neuendettelsau.
Es gab Lieder für den Führer. Nazi-Prosa aus evangelischer Feder.

Wir Evangelischen haben Wurzeln in braunem Boden.
Sind damals dem Zeitgeist aufgesessen.
Sogar vorneweg geschritten. Begeistert. Überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen.
Aus heutiger Sicht standen wir damals auf der falschen Seite.
Und was macht uns so sicher, jetzt auf der richtigen Seite zu stehen?

Und stehen wir da wirklich?

Mein Kirchenvorstand wählt die AfD. Zumindest hat er sowas verschickt, erzählt eine Pfarrerin. Mein Bekannter findet die Identitäre Bewegung gut. Zumindest hat er sowas geliket. Mein Bruder wählt die AfD. vermute ich. So genau habe ich lieber nicht gefragt.

Die Linie verläuft nicht mehr zwischen den Nazis dort.
Den Braunen, den Bösen, den Menschheitsverbrechern.
Von denen man sich – selbstverständlich – distanziert.
Und uns hier. Den Guten, den Demokraten, den christlich sozial Engagierten, den umweltbewussten, die Kaffee aus dem Eine Welt Laden kaufen.
Nein, wie vor 90 Jahren in Westmittelfranken haben ganze Landstriche in Sachsen rechts gewählt. Die kann man nicht einfach rauswerfen. Nazis raus.

Und ich riskiere einen Blick nach innen.
Wo sitzt der Nazi in mir? Ab wo wird’s mir ungemütlich?
Ich habe viele prächtige Frauen kennen gelernt, die sich Tücher um den Kopf wickeln. Ich verstehe inzwischen, dass es den kriegsgeflüchteten Syrerinnen gar nicht möglich ist, ohne dieses Kleidungsstück aus dem Haus zu gehen.
Aber die Gesichtskleidung mit Sehschlitz. Die macht mich aggressiv.

Ich habe mich damit angefreundet, dass auch Türken und Spanier und Iraner Deutsch werden können. Und ihre Nachkommen unsere Gesellschaft prägen werden.
Aber auch die Dunkelhäutigen, die sich absichtlich ohne Protese in der Fußgängerzone auf den Boden setzen? Hier hört der Spaß für mich auf. Wo endet meine Toleranz? Und wo meldet sich der Nazi in mir laut und deutlich zu Wort?

Niemand darf wegen seiner Herkunft diskriminiert werden. Oder seiner Religion. Seiner Art zu leben. Vor dem Gesetz sind alle gleich.
Ja, und das ist gut so.

Viele Jahrzehnte schon leben wir in Frieden.
Dieser äußerliche Frieden ist der Beweis, dass die Autoren unserer Verfassung weitsichtig waren.
Und die Demokratie eine gute Idee ist:
Verschiedene Seiten hören, um die besten Lösungen ringen, aushandeln, damit alles berücksichtigt werden kann.

Und wenn mein Bruder das anders sieht?
Ihn will ich nicht zu „den Bösen“ stecken. Ich will ihn nicht verloren geben.
Ich will ihn nicht versinken lassen in sumpfigen Filterblasen. Ohne Widerrede. Ausgrenzen hilft nicht mehr.

Was brauchst du Bruder. Wie kommst du dazu. Lass uns reden.
Wo liegen deine Ängste, deine Bedenken. Ja, ich sehe, du machst dir Sorgen um unsere Gesellschaft. Ja, ich sehe, du fühlst dich fremd im eigenen Land. Ich mich auch manchmal. Komm herein in unsere Gemeinschaft.

Und: nein, ich sehe das anders. Ich ziehe andere Schlüsse aus der Analyse.
Jeder ist ein geliebtes Geschöpf.
Auch bei seiner Geburt hatten die alten Frauen Tränen in den Augen. Auch er wird von seiner Mutter schmerzlich vermisst. Auch er will einfach nur ein gutes Leben. Nicht mehr als Du. Und nicht weniger.

 

Liebe Simone,
Du hast gesagt:
„Ich habe nichts Besonderes gemacht.
Ich habe es halt ausgehalten.“
Das ist klein. Und es ist groß.

Du weißt jetzt, wie es sich anfühlt.
Öffentlich am Pranger zu stehen.
Zum Abschuss freigegeben.
Du hast gespürt, wie sich Verachtung anfühlt.
Wie sehr das schmerzt. Du hast es ausgehalten.

Aushalten statt wegsehen. Widersprechen statt geschehen lassen.
Das hast du getan. Und das hat Respekt verdient.

Auch beim nächsten Mal hast du dich nicht weggedrückt.
Eine neue Veranstaltung organisiert. Andere ins Boot geholt.
Ein großes Transparent über den Platz gespannt. Mit Worten des Friedens. Des Hineinnehmens. Der Wertschätzung und Würde.
Eine Alternative für Deutschland mit seinen Gräben.
Eine Alternative der Liebe, des Verständnisses. Des Mitgefühls.
Des Hineinnehmens.

Wer Herzlichkeit genossen hat, braucht keine Angst mehr zu haben.
Wer sich seines Wertes sicher ist, braucht andere nicht abzuwerten.
Wer geliebt ist, braucht nicht zu hassen.

 

Die Worte, die schmutzen, sind inzwischen getrocknet.
Sie wirken noch. Aber riechen nicht mehr so stark.
Und liebe Simone:
In einem Blumenbeet wächst es überall da besser, wo getrockneter Schmutz mit in die Erde gemischt wird.

Diese Welt gehört uns allen, hast du gesagt.
Entweder wir bemühen uns, oder es wird nix.
Ich möchte mich mit dir bemühen.
Und ich weiß, es sind viele andere, die das genauso wollen.

Dann hoffen wir gemeinsam, dass es was wird.

Quellen:

https://www.isdglobal.org/isd-publications/battle-for-bavaria/

https://www.deutschlandfunk.de/evangelische-kirche-in-der-ns-zeitjesus-der-arier.886.de.html?dram:article_id=447797

https://www.sueddeutsche.de/bayern/historie-die-naehe-desfraenkischen-luthertums-zu-den-nazis-1.3961258


Christel Opp umrahmte die Verleihung musikalisch.