Stellungnahme des Rates der Schwestern und Brüder zu Kirchenreformen im Zusammenhang mit "Profil und Konzentration"

Vom 3. bis 5 November 2017 tagte der Rat der Schwestern und Brüder in Eschenbach. Während dieser Klausur - wie schon beim vorherigen Treffen im Juli - hat der Rat der Schwestern und Brüder sich mit dem landeskirchlichen Prozess "Profil und Konzentration" beschäftigt und eine Stellungnahme zu Kirchenreformen im Zusammenhang mit ,,Profil und Konzentration“ beschlossen.

Hier der Wortlaut der Stellungnahme:

Die Kirche ist die Gemeinde von Schwestern und Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.“
Mit diesen Worten fasst die Barmer Theologische Erklärung das Kirchenverständnis des Neuen Testamentes zusammen und nimmt dabei das Kirchenverständnis der Lutherischen Bekenntnisschriften auf.

(1) Wir schließen uns diesem Verständnis an, indem wir sagen: Kirche ist ihrem Wesen und Auftrag nach eine Glaubensgemeinschaft um Wort und Sakrament, die an vielen Orten existiert und sich auch immer wieder neu bilden kann – und zwar in vielfältigen Gemeinde- und Gemeinschaftsformen innerhalb und außerhalb der herkömmlichen Gemeindestrukturen. Eine solche Vielfalt zeigt sich schon im Neuen Testament.

Dieser Vielfalt entsprechend hat die Kirche eine eigentümlich „ausgefranste“ Gestalt: Manche Menschen leben und gestalten (auf unterschiedliche Art und Weise) ihren Glauben bewusst; andere sind Glieder der Kirche, ohne es zu wissen oder erkannt zu werden; wieder andere fühlen sich zutiefst zugehörig, obwohl sie nur ganz selten in einen Gottesdienst gehen oder an Gemeindeveranstaltungen teilnehmen; auch die Menschen gehören dazu, die den Bezug zur Kirche oder Gemeinde anscheinend völlig verloren haben.

So wenig der Glaube dieser Menschen messbar ist, so wenig sind Kirche und Gemeinden von ihrem Wesen und Auftrag her berechenbare und bewertbare Größen. Sie können daher nicht wie eine Firma oder ein „Religionsunternehmen“ geleitet, geplant, verwaltet werden.

(2) Wegweisend für das kirchliche Leben und Handeln sind im Neuen Testament Begriffe wie „vergeben“, „lieben“, „trösten“, „stärken“, „ermahnen“, „aufeinander achthaben“, „sich erbarmen“, „verbinden“, „heilen“. Die Kirche kann über solche Handlungsweisen nicht administrativ verfügen: Sie sind Gabe und Geschenk, also unverfügbar. Und sie sind vor allem dort notwendig und auch zu finden, wo sich das Leben der Menschen abspielt.

(3) Wir hielten es deshalb für eine Fehlentscheidung, wenn die Kirchenleitung sich für eine Schwächung überschaubarer Gemeindeeinheiten zugunsten von Funktionszentren entscheiden würde. Eine solche Kirche würde die Menschen eher nicht in dem erreichen, was sie sich wirklich wünschen: menschliche Nähe und wirkliches Verständnis für ihre vielfältigen Lebenssituationen, nicht ein mehr oder weniger professionelles Abarbeiten ihrer Anliegen durch unterschiedliche Spezialisten. Biblisch gesprochen: Auch heute sehnen sich viele Menschen schlicht nach gelebter Nächstenliebe.

Wir glauben, dass die Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen ein gutes Gespür dafür haben, wenn in der Kirche Zweckmäßigkeit wichtiger wird als Liebe. Kirche muss gerade auch in unserer technologisch und ökonomisch bestimmten Welt als Alternative zu marktkonformen religiösen „Anbieterinnen“ auf dem Markt der Weltanschauungen erkennbar sein.

(4) Wir reden nicht einer Selbstgenügsamkeit im Rahmen herkömmlicher Strukturen das Wort.  Wir befürworten sinnvolle Formen der Zusammenarbeit, durchlässige Grenzen und Vernetzungen, sofern dies wirklich den Erfordernissen vor Ort entspricht. Wir warnen aber davor, kirchliches Handeln durch permanente interne Planungsprozesse und immer neue Abstimmungsrunden etwa auf der sogenannten mittleren Ebene zu lähmen.

Wir bestreiten nicht die Notwendigkeit kirchlicher Planungen. Sie sind aber geistlich gesehen vorläufig, unvollkommen und in diesem Sinn tatsächlich ergebnisoffen. Wenn es vor Ort erforderlich ist, muss es in einer reformatorischen Kirche auch die Freiheit geben, sich über Programme und Planungen hinwegzusetzen.

(5) Wegweisend für alles planerische Handeln in der Kirche bleibt die Feststellung der Barmer Theologischen Erklärung: „Die verschiedenen Ämter der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.“ Dies schließt ein „Top-Down-Vorgehen“ im kirchlichen Planungsgeschehen aus. Wir kritisieren, dass es unklar ist, nach welchen Kriterien die PuK-Begleitgruppe, deren Beratungsteam und die PuK-Arbeitsgruppen zusammengesetzt wurden. Wir erwarten, dass die Interessen der am PuK-Prozess maßgeblich Beteiligten transparent werden, auch durch die Benennung ihrer Funktionen.

Der Rat der Schwestern und Brüder, Eschenbach, 5. November 2017