Januartagung 2016
11.01.2016 in Nürnberg

„Flüchtlinge willkommen!?“
Situation und Perspektiven syrischer Flüchtlinge
mit Kirchenrat Thomas Prieto Peral

in St. Jobst, Äußere Sulzbacher Str. 146, Nürnberg

Ablauf

9.30 Andacht in der Kirche St. Jobst
10.00 Kaffee
10.30 Referat Kirchenrat Thomas Prieto Peral
11.30 Gespräch mit dem Referenten
12.30 Mittagessen
13.30 Gespräch mit der syrischen Fam. Touma
15.00 Schlussplenum Reisesegen

Flyer zum Herunterladen

Niemand flieht ohne Grund – wenn Religion heimatlos macht

Ein Bericht über die Januartagung von Frieder Jehnes, Bayreuth

Bei der Januartagung der Bayerischen Pfarrbruderschaft ging es um die aktuelle Flüchtlingssituation. In einem bewegenden und erschütternden  Bericht informierte Thomas Prieto-Peral über die Situation in Syrien und in den benachbarten Ländern. Prieto-Peral war lange Jahre Referent für Ökumene und Weltverantwortung in der bayerischen Landeskirche. Nun wurde ihm das Amt des Planungsreferenten übertragen, dem auch die Koordination der Integrationsarbeit in unserer Kirche obliegt. Er erwies sich aufgrund seiner langjährigen Kontakte, Besuche und Begleitung zahlreicher unterstützender Projekten vor Ort als Referent mit hervorragendem Hintergrundwissen aus erster Hand.

 Einen Schwerpunkt des Vortrages bildete die Situation der orientalischen, insbesondere der assyrischen Christen. Thomas Prieto-Peral schilderte die Ursache und den Verlauf der bisherigen drei Flüchtlingswellen:

 Die erste wurde durch die fürchterlichen, zermürbenden Terroranschläge in Basra und Bagdad nach dem von der Bush-Administration verantworteten zweiten Golfkrieg hervorgerufen. Daraufhin entstanden christliche Dörfer vor allem in den nordirakischen Kurdengebieten, die den Christen relativ großzügig begegneten. Sie sind heute erneut massiv bedroht, das heißt, es kommt hier teilweise zur mehrfachen Vertreibung derselben Menschen.

 Die zweite Fluchtwelle in der Folge des Syrienkrieges führte zur Bildung der riesigen, vor allem durch die UNO errichteten Flüchtlingscamps, deren Situation zum Teil immer schwieriger wurde. 60 % der darin lebenden Menschen sind Kinder und Jugendliche. In besonders elendem Zustand sind die Lager der jesidischen Flüchtlinge, deren friedliche Religion der Referent auch kurz vorstellte.

 Der Syrienkrieg ist nicht zuletzt ein mit skrupelloser Konsequenz durchgeführter Stellvertreterkrieg, für den Saudi Arabien mit Unterstützung durch den Westen auf der einen Seite und der Iran mit russischer Unterstützung auf der anderen Seite mit verantwortlich sind. Hier geht es, das ist meine  persönliche Schlussfolgerung, nicht zuletzt um Kontrolle der Rohstoffe und damit um neokoloniale Interessen.

 Die vorerst letzte, zum Teil aber auch finale Flüchtlingswelle wird seit 2014 durch den IS verursacht, dessen Erfolg nur durch die massive Ausgrenzung der früheren sunnitischen Eliten und Militärs durch den heute schiitisch dominierten Irak möglich war. Ohne deren Unterstützung wäre zum Beispiel die Eroberung der Millionenstadt Mossul nicht möglich gewesen. In Mossul, dem antiken Ninive, ist die zuvor bedeutende christliche Kultur vollständig ausgelöscht.

 Da sich die assyrischen Christen auch als Erben der vorislamischen Kulturen wie der altassyrischen verstanden, zerstörte der IS zielgerichtet die antiken Zeugnisse gerade dieser Kultur. Damit werden die Christen, die sich vorher nie als Minderheit, sondern als Ureinwohner der Region verstanden,  kulturell heimatlos gemacht, das heißt, hier vollzieht sich auch ein kultureller Völkermord.

 Insgesamt ist dieser Konflikt aber einer zwischen radikalen und liberaleren Kräften auch innerhalb der verschiedenen Konfessionen des Islam in der ganzen Region.

 Thomas Prieto-Peral zeigte anhand einer Karte, dass allein die Zahl der Binnenflüchtlinge innerhalb Syriens zur Zeit 6,5 Millionen Menschen beträgt; in der Türkei leben 743.000 Flüchtlinge, im Irak 223.000, in Jordanien 594.000 und im kleinen Libanon 1.070.000. Jordanien sei das einzige noch einigermaßen stabile Land in der Region, doch auch diese relative Stabilität sei durch die riesigen Lager in Gefahr. Die zum Teil katastrophale Versorgungslage aufgrund fehlender Mittel durch die UNO ist bekannt und verursacht die Flüchtlingsbewegungen mit, doch es gibt auch gute Ansätze von Selbstorganisation.

 Syrien ist heute ein vollkommen auseinandergebrochenes Land, in dem sich an die 150 Gruppierungen auf dem Rücken der Zivilbevölkerung bekriegen. Es gibt für dieses Land keine gesamtstaatliche Zukunft; auch die ehemals demokratischen Oppositionskräfte sind nur noch ein Teil des Problems. Die Ursache der Konflikte liegt weit zurück. Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts gab es zum Beispiel einen Vorschlag des Völkerbundes, das Land sinnvoll auf die verschiedenen Religionsgruppierungen aufzuteilen; dieser Vorschlag wurde durch die westlichen Kolonialmächte einschließlich der Türkei aufgrund von egoistischen Interessen zunichte gemacht.

 Die einzige aktuell positive Entwicklung ist, das der IS massiv an Boden verliert und auf Dauer keinen Bestand haben wird, zunächst sicherlich aufgrund des militärischen Druckes, langfristig aber vor allem deshalb, weil der IS die Bevölkerung in den von ihm kontrollierten Gebieten nicht für sich gewinnt, sondern terrorisiert und ausbeutet. Zurzeit kommen monatlich nur noch etwa 60 neue Kämpfer vor allem über die türkische Grenze; in der Zeit der Erfolge waren es etwa 3000. Außerdem ist die wichtige Verbindung zwischen Rakka und Mossul unterbrochen.

 Am Nachmittag vermittelte uns eine christliche Familie aus Syrien mit erschütternden Bildern und Berichten aus ihrem christlichen Herkunftsdorf,  wie das ist, wenn eine 2000 Jahre alte, zuletzt durchaus blühende Kultur innerhalb von zwei Jahren durch kriegerischen Terror vollständig vernichtet wird, und welche traumatischen Folgen das für die Überlebenden hat. Die christlichen Flüchtlinge hierzulande haben zudem das Problem, dass sie zum Teil auch hier wieder anderen Flüchtlingen begegnen, die ihnen mit derselben Verachtung wie in ihren Herkunftsländern begegnen, so dass ihr Trauma erneut aufbricht. Dabei lebten die Religionen vor dem Krieg weitgehend friedlich zusammen. Dann aber mussten die Christen die bittere Erfahrung machen, dass sie von ihren Nachbarn im Stich gelassen wurden oder alte Feindschaften wieder aufbrachen. Im Grunde wären gerade für die verfolgten Christen Kontingentlösungen nötig und angebracht.

 Wichtig ist es außerdem, den christlichen Flüchtlingen auch geistlich eine Heimat zu geben. Sie werden sich zwar (wie die Jesiden) mit der Integration leichter tun als andere Gruppen, erleben aber doch auch die säkulare Gestalt unseres Landes und zum Teil auch entsprechende Erscheinungsformen unserer Kirchen als verwirrend.

 In Bezug auf alle Flüchtlinge gleich welcher Herkunft und Religion gilt, dass das Fenster für den Beginn einer gelungenen Integration nicht sehr lange offen steht – Thomas Prieto-Peral sprach von maximal zwei Jahren. Danach würden Perspektivlosigkeit und Verharren in Parallelmilieus die Integration zunehmend erschweren. Insofern besteht hier dringender Handlungsbedarf.

 Der Referent schloss mit einem Satz, der trotz allem immer noch ein Leitsatz auch der orientalischen Christen ist: „Hoffnung aufgeben heißt dem Bösen Raum zu geben“.

 Frieder Jehnes, Bayreuth