Pfingsttagung 2015
25. - 27.5.2015 in Heilsbronn

"Paulus hat gut reden - Kriterien einer evangelischen Sprachlehre" - mit Prof. Christian Lehnert, Leipzig

Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer „öffentlich“ reden, tun sie das in vielerlei Gestalt, von traditionellem Sprachmaterial bis zu den Spielarten neuerer Rede- und Sprechweisen, „gerechter“ oder „leichter“ Sprache. Dabei stellen sie sich den Veränderungen in der Gesellschaft.

Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer „öffentlich“ reden, stoßen sie aber zwangsläufig immer auch auf ihr eigenen Grenzen. Was können sie sagen und wie können sie es sagen, dass ihre Verkündigung die Menschen erreicht und nicht über deren Köpfe hinwegfliegt? Ist ihnen auch nicht immer wieder im Laufe ihres Berufes die Sprache für die Verkündigung verlorengegangen?

Auf der Pfingsttagung der Pfarrbruderschaft wollten wir uns diesem Thema widmen. Mit unserem Referenten Prof. Christian Lehnert, einem ausgewiesenen Dichter und Theologen, wollten wir uns auf die Suche nach dem machen, was wir sagen und wie wir reden können. Als wissenschaftlicher Geschäftsführer des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der VELKD in Leipzig, als Dichter und Essayist (zuletzt: Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus, Suhrkamp Verlag) ist seine Arbeit unmittelbar verbunden mit unseren Fragestellungen.

Bericht aus Korrespondenzblatt 8/9 Aug./Sep. 2015:

Kriterien einer evangelischen Sprachlehre –
zur Pfingsttagung der Bayerischen Pfarrbruderschaft

Wer sorgfältig und sensibel mit Sprache umgeht, wird als Theologe, als Theologin immer wieder auf ein merkwürdiges Phänomen stoßen: dass es oft so ist, als würden einem die „frommen Worte“ zwischen den Fingern zerrinnen. Dabei ist es doch unsere genuine Aufgabe, von Gott zu reden, und damit auch, dass wir uns ihm sprachlich nähern. Wir versuchen, so gut es uns gegeben ist, sein Evangelium den Menschen nahezubringen. Aber Gott ist nicht so zu fassen wie Gegenstände oder Personen des normalen Lebens. Trotzdem wagen wir es, „ihn“ im Gebet anzurufen als ein „Du“: wie einen Freund, eine Freundin etwa, von dem oder der wir uns Hilfe, Unterstützung oder Verständnis erhoffen.

Mit dieser gewiss nicht neuen, aber zu jeder Zeit aktuellen Fragestellung setzte sich die Bayerische Pfarrbruderschaft als theologische Weggemeinschaft von Frauen und Männern bei ihrer Pfingsttagung auseinander: Mit diesem Oszillieren der Sprache zwischen Vertrautheit und Fremdheit der christlichen Rede in einer sich rasch verändernden Welt. Dazu hatte sich die Pfarrbruderschaft Christian Lehnert aus Leipzig als Referenten eingeladen. Lehnert, der als theologischer Dichter und Schriftsteller bei Suhrkamp publiziert, vermittelte das Thema in großer poetischer Schönheit. Es tat gut, ihm zuzuhören, gerade im Erleben seiner Originalität.

Das Kollektengebet im Gottesdienst – der Beschluss des Introitus: „wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit“ – das „Heilig, Heilig, Heilig“ in der Abendmahlsliturgie: liturgische Stücke, die so unglaublich schnell an uns und der Gemeinde vorbeirauschen und die doch so wenig selbstverständlich zu handhaben sind. Inwiefern ist der Anfang, auch „mein Anfang“, überhaupt ein Gegenstand der Erfahrung? Was ist dieses „Jetzt“ in seiner Flüchtigkeit? Was hat Jesaja in seiner Tempelvision gesehen, gehört, erfahren, ihm, dem erst der Mund ausgebrannt werden musste, um von JHWH überhaupt reden zu können, von seiner/ihrer Ehre, seiner/ ihrer „Kavod“, seiner/ihrer ungeheuren Schwere und Masse? Mit solchen Fragen und Gedanken konfrontierte Lehnert seine Zuhörerinnen und Zuhörer.

„Kriterien einer evangelischen Sprachlehre“: Einfach Handhabbares wurde nicht geboten. Wohl aber gab es wertvolle Anstöße für die theologische Existenz heute. Letztlich, so Christian Lehnert, ist religiöse Sprache angewiesen auf Bilder und Erzählungen, Metaphern und Gleichnisse. In ihrem Wesen offen und unabgeschlossen, ist sie ein Vorgang des Tastens und Fühlens hinein in ein fremdes Land und darum der Poesie ähnlich. Denn auch ein Gedicht führt in Randbereiche des Sagbaren. Gedichte entstehen, wo mir die alltäglichen Worte fehlen, ich aber doch nicht schweigen kann und will. So gesehen führt das Gebet in eine tiefere Dimension der Wirklichkeit und zum Geheimnis Gottes und bedarf doch der Resonanz der GottesdienstbesucherInnen, vermittelt durch die Persönlichkeit des Betenden.

Wegen der Dichte des gottesdienstlichen Singens und Sprechens regte Lehnert allerdings an, im Gottesdienst sollte es mehr Orte der Stille, des Schweigens geben. Zum Beispiel im Sündenbekenntnis, nach der Predigt und bei den Fürbitten. Und ich selbst habe mich wieder mal gefragt, ob nicht gerade der Eingangsteil des agendarischen Gottesdienstes durch eine Aneinanderreihung unglaublich dichter Sprachformen überfrachtet wird und die Aussagen damit ihrer Würde beraubt werden.

Ja, die von Christian Lehnert vermittelte Fragestellung ist nicht neu. Aber es ist nötig, für Theologinnen und Theologen vielleicht sogar lebenswichtig, sie sich immer wieder zu vergegenwärtigen. In diesem Zusammenhang habe ich mich daran erinnert, dass der Gottesname JHWH bereits Jahrhunderte vor Christi Geburt nicht mehr ausgesprochen wurde. Lehnert selbst erinnerte an ein Wort Bonhoeffers: „Ein Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht.“ Denn „Gott“ ist anders als alle Gegenstände, über die wir sonst so selbstverständlich kommunizieren. Ich dachte aber auch an das, was Karl Barth zur Sache sagte: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“

Am Abend des Vortragstages kamen die TeilnehmerInnen der Pfingsttagung in den Genuss einer Lesung aus Christian Lehnerts neuestem Werk: „Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus“. Außerdem befasste sich die Pfarrbruderschaft intensiv mit den 94 Thesen von Kairos Europa im Hinblick auf das Reformationsjubiläum 2017. Es geht dabei um ein Verständnis von Reformation, das auf ein „Wirtschaften im Dienst des Lebens“ abzielt.

Die Pfarrbruderschaft ist seit langem Mitglied bei Kairos Europa. Die Thesen wurden freilich durchaus kontrovers diskutiert. Positiv wurde gesehen, dass die Konzentration gerade der lutherischen Theologie auf die individuelle Frömmigkeit und die damit verbundene Vernachlässigung struktureller Probleme aufgebrochen wird. Zutreffend werde die kapitalistische Wirtschaftsform als eine Struktur der Gier benannt, durch die immer mehr Gewalt und Elend produziert wird – einer der Gründe, weshalb die Welt gegenwärtig aus den Fugen gerät. Ohnmächtige und an den Rand Gedrängte kommen in den Blick des kirchlichen und gemeindlichen Handelns und werden ermutigt, sich zu engagieren und Strukturen der Gewalt nicht hinzunehmen. Ich selbst gebe zu bedenken, ob es hier nicht eine Verbindung zum Thema der Tagung gibt. Dietrich Bonhoeffer schrieb im Mai 1944 anlässlich einer Taufe im Familienkreis, eine Kirche, die vor allem um ihre Selbsterhaltung kämpft, wird unfähig, „Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen zu sein“. Er forderte die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit ein, „befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu“. Eine Sprache, die aus dem kommt, was Bonhoeffer als wesentliche Aufgabe der Kirche sah: „Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen“.

Kritisiert wurde, dass die Thesen kein wirklich konstruktives Verhältnis zu einer Moderne und Postmoderne entwickeln, deren wesentliche Kennzeichen Individualität, Pluralität,  Emanzipation und eine sehr große autonome soziokulturelle Dynamik sind. Damit steht aber die Relevanz dieser Thesen für eine Kirche infrage, die sich in diesem Raum bewegt und ihr Verhältnis dazu nicht einfach in der Abgrenzung definieren kann, wenn sie sich nicht selbst marginalisieren will.

Gefragt wurde nach konkreten Orten des Engagements und Widerstandes in der normalen kirchlichen und gemeindlichen Wirklichkeit, oder auch, wie denn unterschiedliche Frömmigkeiten und Kulturen so zusammenfinden, dass man anders Denkenden und Glaubenden nicht das Kirchesein abspricht.

 
Frieder Jehnes, Bayreuth